Von Christian Schröter, 10. März 2005, Lesedauer 4 Minuten, 16 Sekunden
Täglich bemerken Pädagogen in Schulen und Jugendzentren, dass Kinder und Jugendliche ihnen weit voraus sind, wenn es um Praxiswissen über die Neuen Medien und das so genannte Web 2.0 geht. Soziale Netzwerke, Chats, Videotauschbörsen und Weblogs werden von vielen Jugendlichen täglich genutzt, wohingegen Eltern und Lehrer den Entwicklungen häufig kritisch gegenüberstehen. Auch auf der Fachtagung zum Thema »Facebook und Apps – Ignorieren bringt gar nichts … Pädagogische Herausforderung Web 2.0 in Theorie und Praxis«, die im Kreishaus Gütersloh stattfand, zeigte sich dieser Unterschied deutlich: Teil der Tagung war ein Einführungsseminar zum Thema Facebook, das von Schülern der Medien-AG der Janusz-Korczak Gesamtschule Gütersloh angeboten und gestaltet wurde. Hier brachten die Schüler ausnahmsweise mal den Erwachsenen etwas bei.
Die Fachtagung wurde vom Medienzentrum und dem Bildungsbüro des Kreises Gütersloh in Kooperation mit den Jugendämtern des Kreises sowie der Städte Gütersloh und Verl organisiert. Und sie war, wohl nicht zuletzt wegen des Gastreferenten Prof. Dr. Franz-Josef Röll, bereits weit im Vorfeld überbucht. Rund 80 Teilnehmer konnten sich im Kreishaus mit der pädagogischen Herausforderung des Web 2.0 für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Ohne umfassende Computerkenntnisse können Heranwachsende den Anforderungen der modernen Informationsgesellschaft in Schule, Studium und Beruf kaum mehr gerecht werden und auch das private Kommunikationsverhalten verändert sich durch die Pflege der sozialen Beziehungen über die Neuen Medien. »Diese Entwicklung bietet sowohl Chancen als auch Risiken«, so Martin Husemann, Leiter des Kreismedienzentrums. Die Teilnehmer konnten sich umfassend über Gefahren und Rechte im Internet informieren und bekamen die Chance, praxisorientierte Anregungen für die eigene Arbeit mitzunehmen.
Prof. Dr. Franz-Josef Röll unterrichtet an der Hochschule Darmstadt Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Neue Medien und Medienpädagogik. Zusammen mit der Medienpädagogin Verena Ketter vom Amt für soziale Arbeit in Wiesbaden informierte er die interessierten Besucher, anhand vieler Beispiele aus der beruflichen Praxis, über die Entwicklungen des Web 2.0, die damit verbundenen Änderungen der Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten und die Auswirkungen auf die Entwicklung von Identität und kommunikativem Verhalten.
Im zweiten Teil der Tagung ging Röll genauer auf Anwendungen wie Animoto und Google Maps ein. Ursprünglich war geplant, die Besucher im Rahmen der Vertiefung »Digitale Fotografie als Medium von Selbstsuche und Sozialraumerkundungen mit Web 2.0« selber an Kameras arbeiten zu lassen, aufgrund der großen Zahl der Teilnehmer war dies allerdings nicht möglich. Stattdessen zeigte Röll einige ausgewählte Tools in ihrer praktischen Anwendung und berichtete von studentischen Projekten wie zum Beispiel digitalen Fotobüchern. Sehr anschaulich demonstrierte er den Effekt seiner sogenannten Wahrnehmungspädagogik. »Geben Sie den Schülern ein bewusst unscharf formuliertes Thema, geben Sie ihnen nur die Richtung vor. Es ist erstaunlich, welche Potentiale Sie dadurch wecken«, riet Röll den Pädagogen. Für die Lehrenden bietet dies die Möglichkeit, etwas über ihre Schüler zu lernen, zum Beispiel indem sie sehen, was und wie diese fotografieren oder wie sie die Fotos anschließend zusammenstellen. Eigene Medienprojekte sensibilisieren die Jugendlichen für medienkritische Denkansätze. »Die Schüler lernen, dass eine Produktion sehr viele verschiedene Lösungen haben kann – das Produkt ist immer Ergebnis des Wunsches eines Produzenten«, erläuterte Röll. Anhand zahlreicher anschaulicher Beispiele, die den Hochschullehrer in seiner eigenen Alltagspraxis selbst überrascht und begeistert haben, lernten die Teilnehmer viel über neue Gestaltungsmöglichkeiten des Unterrichts unter Einbeziehung der Neuen Medien. Dazu Röll: »Lassen Sie die Schüler doch mal ein Wiki oder ein Weblog erstellen und binden Sie Chats mit in den Unterricht ein. Der Textoutput hierbei ist ernorm und durch die Kommunikation mit anderen erhalten die Schüler neue Denkanstöße«.
Referentin Verena Ketter informierte über die Potentiale mobiler Jugendmedienbildung und ging im Speziellen auf »Erlebnisorientierte Sozialraumerkundungen mit Smartphones, QR-Codes und GPS« ein. Die so genannten QR-Codes finden sich auf vielen Plakaten oder in Zeitschriften und lassen sich zum Beispiel mit der Kamera eines Mobiltelefons dekodieren, um auf weiterführende Webseiten zu gelangen.
Sehr großen Anklang fand die Vertiefung der Schüler Medien-AG der Janusz-Korczak Gesamtschule Gütersloh unter der Leitung von Ranka Bijelic und Wolfgang Marienfeld. Die Medien-AG hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Eltern, Schüler und Lehrer über Anwendungen des Web 2.0 zu informieren und sie für damit einhergehende Probleme wie Cyber-Mobbing zu sensibilisieren. »Wir glauben, dass es gerade bei solchen Themen sinnvoll sein kann, die Schüler von Gleichaltrigen informieren zu lassen. Das ist eine wichtige Aufgabe für unsere Medien AG«, erläuterte Wolfgang Marienfeld von der Janusz-Korczak Gesamtschule. Fünf Schüler dieser AG waren vor Ort und hielten zunächst einen einführenden Vortrag mit dem Titel »Facebook, wie geht das?«. Anschließend durften die Teilnehmer der Tagung das soziale Netzwerk selber ausprobieren und zum Beispiel untereinander Freundschaftseinladungen und Nachrichten verschicken. Besonders die individuelle Gestaltung des Steckbriefes mit Angaben zu Hobbies oder Beziehungsstatus sorgte bei den Anwesenden für viel Spaß. »Sie sind bei ihrer Erforschung richtig ins Fieber geraten«, freute sich Ranka Bijelic. Die Schüler standen jederzeit für Fragen bereit und waren mit großer Begeisterung und Motivation bei der Sache.
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