Von Christian Schröter, 3. September 2016, Lesedauer 4 Minuten, 0 Sekunden
Im April startete Bertelsmann das Flüchtlingsprojekt »Be Welcome«; um elf jungen Flüchtlingen eine Perspektive auf dem regionalen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Nach 100 Tagen sind die acht jungen Männer und drei Frauen ihrem Ziel nähergekommen. Die Stimmung ist die einer normalen Schulklasse in der Pause: Die jungen Frauen und Männer lachen, unterhalten sich und feuern sich beim Wikingerschach in einem Gütersloher Park an. Die gute Laune ist aber keine Selbstverständlichkeit: Alle kommen aus Syrien, wo seit fünf Jahren Bürgerkrieg herrscht. Sie sind seit bis zu drei Jahren in Deutschland und haben ganz unterschiedliche Fluchtgeschichten erlebt. Bei »Be Welcome« haben sie ein gemeinsames Ziel: ihren Weg ins Arbeitsleben in Deutschland zu finden. In dem insgesamt einjährigen Programm stand seit April zunächst intensives Sprachtraining auf dem Plan. Durch ein Praktikum in einem Unternehmen sollen die Teilnehmer nun herausfinden, welcher Job am besten zu ihnen passt. Im Idealfall bleiben sie dann in dem Betrieb und beginnen nach einem Jahr eine duale Ausbildung. »Perspektive schaffen« »Das Projekt läuft wesentlich besser, als ich erwartet hätte«, berichtet Anna Terletzki, Projektleiterin von »Be Welcome«. »Die Teilnehmer haben ihre Sprachkenntnisse gut weiterentwickelt. Am meisten beeindrucken mich aber der große Gruppenzusammenhalt und die hohe Motivation.« In den ersten vier Monaten waren die Projektteilnehmer täglich zusammen beim Sprachkurs im Corporate Center von Bertelsmann, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Ihre Fluchterlebnisse spielen im Kurs nur am Rande eine Rolle. »Alle wollen in die Zukunft blicken und sich eine Perspektive hier in Deutschland schaffen«, erklärt Anna Terletzki. Die meisten der jungen Flüchtlinge sind mit ihrer Familie, ihren Eltern oder Geschwistern nach Gütersloh gekommen. Sie alle sind anerkannte Flüchtlinge und wohnen nicht mehr in Notunterkünften, sondern mit ihren Familien in Wohnungen. Ihre Bildungshintergründe sind ganz unterschiedlich – die einen haben einfache Schulabschlüsse erworben, die anderen wegen der Flucht ihr Studium abgebrochen. »Zu Anfang fiel uns auf, dass die Teilnehmer kaum Vorstellungen vom deutschen Bildungssystem hatten. Wie angesehen eine duale Ausbildung im Vergleich zu einer Hilfsarbeit ist und auch durchaus eine Alternative zum Studium sein kann, das haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten zusammen erarbeitet«, so Terletzki. Mittlerweile haben die Teilnehmer konkrete Vorstellungen, welchen Beruf sie in Deutschland ergreifen möchten – vom Lagerlogistiker über den Drucker bis zur Köchin reicht das Spektrum. Fundiert recherchieren konnten sie auf Ausflügen ins Berufsinformationszentrum (BIZ) in Bielefeld sowie zu Sonopress, Dr. Oetker oder Arminia Bielefeld. »Wir sind Harsewinkler« Der 21-jährige Shamoun hat in Syrien englische Literatur studiert. Als »das Leben zu schwer« in Syrien wurde, ist er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland geflohen – nach Harsewinkel. »Mein Onkel und meine Tante wohnen schon lange hier. Wir sind jetzt alle Harsewinkler«, erklärt Shamoun lächelnd. Im August beginnt er ein Praktikum bei Arvato Systems im Corporate Center in Gütersloh. Er möchte Fachinformatiker werden und kann sich vorstellen, im Kreis Gütersloh zu bleiben: »Große Städte sind so chaotisch. Gütersloh ist sehr praktisch. Ich möchte unbedingt eine Ausbildung machen und dann arbeiten oder vielleicht später noch studieren.« Auch Salam ist glücklich, in das Programm aufgenommen worden zu sein: »Bertelsmann ist für mich wie eine Familie, die mich adoptiert hat und sich um mich kümmert. Wir werden an der Hand genommen und auf den richtigen Weg geführt«, erklärt die 20-Jährige. Obwohl sie Heimweh hat, möchte sie hier bleiben und später eine Familie gründen. Erst einmal will sie aber eine Ausbildung als Erzieherin in Gütersloh machen. Im August beginnt ihr Praktikum im Ganztag einer Gütersloher Grundschule. Ehrenamtliches Engagement In den jetzt beginnenden Praktika bei Arvato, Mohn Media, Baxter, einer Grundschule oder in der Lagerlogistik können die Teilnehmer die ausgewählten Berufe kennenlernen. Entscheiden sich das Unternehmen und der Teilnehmer füreinander, beginnt eine einjährige Einstiegsqualifizierung. Hierbei durchlaufen die Teilnehmer das erste Lehrjahr »auf Probe«. Im Anschluss kann dann die eigentliche Ausbildung starten. Betreut werden die jungen Männer und Frauen auch in dieser Phase von Anna Terletzki und dem Sozialpädagogen Andreas Majewski. »Das Projekt ist wirklich sehr gut gestartet. Kein einziges Vorurteil gegenüber Flüchtlingen hat sich bestätigt. Untereinander und uns gegenüber sind die Teilnehmer stets hilfsbereit, freundlich, respektvoll und pflichtbewusst. Die Hälfte engagiert sich mittlerweile sogar ehrenamtlich in der Region.« Sako arbeitet zum Beispiel ehrenamtlich als Dolmetscher für die Stadt Gütersloh und als Verhaltenscoach im Freibad, Kalan und Riad gehen regelmäßig in ein Seniorenheim, um dort mit den Bewohnern Karten zu spielen oder spazieren zu gehen. »Es ist toll zu sehen, wieviel die Teilnehmer in dieser Zeit gelernt haben und mit welchem Engagement sie dabei sind. Sie werden ihren Weg hier in Deutschland finden«, ist Anna Terletzki überzeugt.
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