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Lindner-Interview: Wir brauchen mehr Freude am Erfinden als am Verbieten

Von Christian Schröter, 22. September 2021, Lesedauer 5 Minuten, 58 Sekunden

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab »Bild am Sonntag« das folgende Interview. Die Fragen stellten Burkhard Uhlenbroich und Roman Eichinger:

Herr Lindner, die Union bricht fünf Wochen vor der Wahl in den Umfragen ein. Wie viele Sorgen machen Sie sich um Ihren Wunsch-Koalitionspartner?

Die Union benötigt keine gönnerhaften Bemerkungen. Ich gehe unverändert davon aus, dass CDU/CSU die stärkste Kraft werden und den Regierungsauftrag erhalten. Allerdings gibt mir der Kurs von Armin Laschet Rätsel auf.

Was gefällt Ihnen nicht?

Im Wahlprogramm der Union stehen zum Beispiel Steuerentlastungen. Aber inzwischen schließt Armin Laschet sogar Steuererhöhungen nicht aus. Nach diesen Pirouetten sagt allein die FDP: Nach einer Wirtschaftskrise darf es keine höhere Steuerlast für die Menschen und die Betriebe geben. Mit Ausnahme von Konzernen wie Google. Im Gegenteil sollten wir für Entlastung arbeiten, damit das Handwerk investieren kann, sich die Überstunde lohnt und mehr Menschen sich den Traum von der eigenen Wohnung erfüllen können.

Führende CDU-Politiker warnen vor der Wahl der FDP,  weil man nicht wisse, mit wem Sie am Ende regieren. Parteivize Julia Klöckner etwa wirft Ihnen vor, die Wähler einzulullen. Sind Sie ein Einluller?

Man muss solche Angriffe mit der Lage der CDU entschuldigen. Allerdings wäre es ratsam, wenn die Union sich weniger mit ihrem verlässlichen Koalitionspartner in Nordrhein-Westfalen beschäftigen würde, sondern mehr mit den Grünen. Die Grünen wollen mit unzähligen Eingriffen, Verboten und Subventionen aus unserer Industrienation ein Bullerbü machen. Die FDP macht dagegen Vorschläge, wie man zum Beispiel mit synthetischem Kraftstoff den Verbrennungsmotor klimafreundlich macht. Wir müssen den Klimaschutz von linken Ideen lösen und zu einer Technologie- und Wachstumsagenda machen. Da die CDU inhaltlich nichts bietet, stehen wir allein für wirtschaftliche Vernunft.

Beim derzeitigen Stand der Umfragen wären Sie der Kanzlermacher. Also: Laschet oder Scholz?

Die Partei von Willy Brandt hat immer unseren Respekt, aber CDU/CSU stehen uns trotz allem inhaltlich am nächsten. Mir fehlt die Vorstellungskraft, welches Angebot Herr Scholz oder Frau Baerbock der FDP machen können. Man darf nicht vergessen, wir haben 2017 einen Linksdrift der deutschen Politik verhindert, den Frau Merkel den Grünen zugestehen wollte. Darauf können die Menschen sich auch 2021 verlassen. Es zählen Überzeugungen, nicht Karrieren.

Wollen Sie schon wieder nicht regieren?

Wir wollen Verantwortung, aber wir treten nicht in jede beliebige Regierung ein. Wir wollen »Schwarz-Grün« verhindern. Die letzten Wochen haben die Zweifel verstärkt, ob Armin Laschet die Führungskraft hat, die Anliegen der Grünen nach Umverteilung, Bevormundung und Subventionierung zurückzuweisen. Deshalb ist es wichtig, dass nicht die Grünen mit Herrn Habeck den nächsten Finanzminister stellen, sondern die FDP.

Die »Grünen« als mögliche Koalitionspartner wollen Steuererhöhungen, um ihre Wunschprojekte zu finanzieren. Wie hart wird Ihre Streichliste als möglicher Finanzminister?

Wir müssen unnötige Subventionen prüfen, ja. Aber einen Aufschwung erreicht man weder mit dem Rotstift noch mit Steuererhöhungen. Deutschland muss wieder auf Angriff setzen. Wir brauchen mehr Freude am Erfinden als am Verbieten. Daher wollen wir gezielte steuerliche Entlastungen, damit in saubere Technologie und neue Jobs investiert wird. Ich möchte Gründergeist entfesseln. Dann wächst unsere Gesellschaft aus ihren Defiziten und aus ihrer schlechten Laune heraus.

Haben Sie wirklich Lust in der schwierigen Nach-Corona-Zeit Finanzminister und damit Buhmann der Nation zu werden?

Kein künftiger Finanzminister darf auf viel Applaus hoffen. Er wird öfter Nein sagen müssen. Aber ich wäre bereit dazu. Die FDP bewirbt sich ja nicht um einen Platz in der Hängematte.

Stehen Sie als Finanzminister zur Schuldenbremse?

Wir haben enorme Schulden. Wir haben bereits Inflationsrisiken. Wir haben künstlich niedrige Zinsen. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes darf daher nicht aufgeweicht werden, wie Grüne und Markus Söder dies wollen. Wir müssen zurück zur soliden Finanzen. Investitionen in digitale Infrastruktur und Bildung können wir verstärken, wenn wir Prioritäten setzen und beim Bürokratismus sparen.

Keine neuen Schulden, aber ein Loch von 88 Milliarden Euro durch Ihre Steuersenkungen. Wie wollen Sie das als Finanzminister finanzieren?

Unsere Vorschläge für Entlastungen sind nicht für ein Jahr geplant, sondern nach und nach. Vermutlich wird als erstes der Solidaritätszuschlag für alle fallen, weil der über dreißig Jahre nach der Einheit verfassungswidrig ist.

Welche Probleme wollen Sie in der Regierung als erstes anpacken?

Deutschland ist ein Höchststeuerland. Die digitale Infrastruktur hat bei weitem nicht das Niveau einer Industrienation des Jahres 2021. Uns fehlen in vielen Bereichen Fachkräfte, unser Sozialstaat ist in keinster Weise darauf ausgerichtet, dass der Menschheitstraum eines längeren, gesünderen Lebens für alle in Erfüllung gehen kann. Und die zum Teil unwirksamen, aber belastenden Corona-Maßnahmen haben die Lage verschärft. Deutschland ist ein Sanierungsfall, aber ein aussichtsreicher.

Der fast 20-jährige Afghanistan-Einsatz Deutschlands ist katastrophal gescheitert. Auch die FDP hat dem Einsatz jedes Jahr zugestimmt. Haben Sie sich geirrt?

Zugestimmt haben wir aus Respekt vor den Soldaten, nicht aus Vertrauen in die Bundesregierung. Wir haben bei jeder Mandatsverlängerung gefragt, wie realistisch die Einsatzziele sind und welche Vorbereitungen es für den Abzug gibt. Unsere Hinweise wurden in den Wind geschlagen.

Besonders das Krisenmanagement der Bundesregierung war desaströs. Welche Schuld tragen die Verteidigungsministerin und der Außenminister?

Die Vorgänge dokumentierten eine erschreckende Hilflosigkeit. Die Bundestagswahl ist deshalb auch eine Abstimmung darüber, ob Herr Maas und Frau Kramp-Karrenbauer ihre Arbeit fortsetzen sollten.

Wie konnte der BND so versagen?

Die Fehleinschätzung des BND muss Konsequenzen haben. Er muss gegebenenfalls neu aufgestellt werden. In der nächsten Legislaturperiode braucht es einen Afghanistan-Untersuchungsausschuss, wo alles auf den Tisch kommt, was nicht funktioniert hat. Auch welche systematischen Schwächen wir bei diesen Einsätzen haben. Das muss aufgeklärt und neu konzipiert werden.

Was bedeutet das Scheitern in Afghanistan für andere Einsätze wie zum Beispiel den in Mali?

Alle Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen gründlich evaluiert werden. Sind unsere Ziele realistisch? Gibt es eine Abzugsperspektive? Generell bin ich der Meinung, dass der Aufbau eines Staates durch Militärintervention von außen nicht realistisch ist, wenn es von innen nicht eine breite Unterstützung dafür gibt.

Sollte es eine Obergrenze für Flüchtlinge aus Afghanistan geben?

Menschen in Not sollten gar nicht erst die gefährliche Strecke nach Deutschland zurücklegen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass es in den Nachbarländern Afghanistans eine menschenwürdige Unterbringung für Flüchtende gibt. Bei Finanzierung und Logistik sollten wir die USA an ihre Mitverantwortung für deren Lage erinnern.

Wie viele Afghanen muss Deutschland aufnehmen?

Bei den Ortskräften und ihren Familien, die für uns Land gearbeitet und die ja eine Sicherheitsüberprüfung haben, sollten wir großzügig sein. Diese Menschen dürfen wir nicht im Stich lassen.

Sollte Deutschland die Taliban-Regierung anerkennen oder bekämpfen?

Gespräche mit den Taliban kann es nur geben, um menschliches Leid zu lindern. Die Anerkennung einer Regierung, die sich die Macht durch Gewalt angeeignet hat und die Mädchen und Frauen unterdrückt, ist für mich unvorstellbar.

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