Von Christian Schröter, 21. Dezember 2021, Lesedauer 10 Minuten, 7 Sekunden
Virtuelle Ausstellung in Gütersloh: »60 Jahre Bundesrepublik Deutschland: 1949 bis 1959, Gütersloh in der Bundesrepublik Deutschland«, eine Ausstellung von Gütsel
Die feierliche Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ist die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz schuf die Basis für die erfolgreiche wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und bildete die Grundlage für die Wiedervereinigung von 1990.
Aus Anlass des 60-jährigen Geburtstags der Bundesrepublik Deutschland hat Gütsel einen Blick in die Archive der Stadt geworfen und präsentieren mit freundlicher Unterstützung des Stadtarchivs eine Dokumentation über die Entwicklung Güterslohs von 1949 bis heute. Vom Wiederaufbau über die turbulenten 1960er-Jahre bis hin zur Neugestaltung der Gütersloher Innenstadt.
1949 bis 1959
In der Zeit von 1949 bis 1959 zeigte sich die Stadt nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs im Aufbruch. In den Anfangsjahren zählte Gütersloh schon rund 50.000 Einwohner. Ein Viertel davon waren Ostvertriebene und Flüchtlinge aus der damaligen Sowjetzone.
Wie in anderen Städten begannen die Gütersloher neue Aufgaben anzupacken, wenn auch unzureichende Ernährung, Wohnungsnot, Flüchtlingselend und viele weitere Probleme als beinahe unüberwindbare Hindernisse schienen.
Der Wiederaufbau lief auf Hochtouren, als die 1950er-Jahre anbrachen. Die Arbeitslosigkeit in Gütersloh lag eindeutig unter dem Landesdurchschnitt. 1951 pendelten beinahe 6.000 Menschen nach Gütersloh.
Probleme waren kennzeichnend für die ersten Jahre der Gütersloher in der neuen Bundesrepublik. Dazu zählte die Eingliederung der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen. Schaffung von Wohnraum, Eingliederung in die Wirtschaft, in die freien Berufe und in die Landwirtschaft – diese Probleme galt es zu meistern.
Auch die britische Besatzungsmacht prägte das Leben. Einerseits gab es Requisitionen von Häusern und Wohnungen, andererseits schaffte die Präsenz der Briten auch neue Kontakte und partnerschaftliche Beziehungen zwischen Briten und Gütersloher Bürgern. Ein Beispiel dafür ist die Entstehung des »Anglo German Club Gütersloh«.
In den Jahren des Wiederaufbaus und Neubeginns erwachte das kulturelle Leben in Gütersloh. Die Gütersloher Theaterentwicklung begann mit der Eröffnungsvorstellung des Westfalen-Theaters 1946 bereits vor der Geburtsstunde der Bundesrepublik. Zwei Jahre später wurde aus dem Westfalen-Theater das »Neue Westfalen-Theater«, das im April 1951 mit dem Landestheater Detmold fusionierte.
Spielort für viele Theateraufführungen und Konzerte wurde die neue Freilichtbühne im Mohns Park. Die Bühne verzeichnete Rekord-Besucherzahlen. Auf dem Freilichtbühnenprogramm des Landestheaters Detmold standen in den 1950er-Jahren unter anderem Schillers »Räuber«, Shakespeares »Was ihr wollt« und Büchners »Dantons Tod« auf dem Programm.
1959 bis 1969
Im Vergleich zu den turbulenten Anfangsjahren der jungen Republik hatte das Leben seinen geregelten Gang genommen. Die Gütersloher hatten sich in die Arbeit geflüchtet – davon gab es offensichtlich genug. Das Wirtschaftswunder veränderte maßgeblich das Bild der Stadt, es lief zu Beginn der 1960er-Jahre zu seiner Hochform auf. Am 1. April 1960 feierte das langersehnte Hallenbad mit den Hallenmeisterschaften des Westdeutschen Schwimmverbands seine Neueröffnung.
In der Innenstadt nahm die Neugestaltung rasch Formen an. Ein harmonisches, auf alter und historischer Bausubstanz bestehendes Stadtbild hatte Ende der 1950er-und in den 1960er-Jahren keine Überlebenschance. Die Devise lautete: Weg mit den alten Häusern. Eines der bedeutensten Bauprojekte jener Epoche war der Neubau des Kaufhauses Hertie direkt neben dem in den 1960er-Jahren noch stehenden historischen Rathaus.
Die Innenstadtsanierung schritt mit vielen Neubauten in den 1960er-Jahren voran – bekannte Gebäude mussten weichen. Mit der Krönigschen Apotheke verschwand ein historisches Haus aus dem Gütersloher Stadtbild, in dem seit 1785 Güterslohs älteste Apotheke betrieben wurde.
1963 ging auch die Ära der bekannten Gütersloher Steinhägerbrennerei »Urkönig« zu Ende. Die weit über Güterslohs Grenzen auch international bekannte Brennerei verlegte ihren Betrieb in die benachbarte Gemeinde Steinhagen.
Anfang der 1960er-Jahre machten sich die Gütersloher auch bereits Gedanken über eine fußgängerfreundliche Innenstadt, die Jahre später mit dem Bau der Fußgängerzone umgesetzt werden sollte.
Und was machte die Gütersloher Jugend in den »wilden« 1960er-Jahren? Mitte der 1960er-Jahre kam die Beat-Bewegung auch nach Gütersloh. »Black Four«, »Red Jackets«, »The Beethovens« und »The Marlins«, die 1969 in den Kölner Ariola-Studios eine Single aufnahmen, hießen die angesagten Bands in Gütersloh. Die Haare wurden länger, die Jugend feierte zur neuen Musik im Katholischen Vereinshaus, in der Tanzschule Vosshans und auch in der Parkschänke. Mitte der 1960er-Jahre wurde im neuen Hertie-Parkhaus sogar ein Beat-Band-Wettbewerb abgehalten.
1969 bis 1979
Eine große Chance zur Optimierung der baulichen Entwicklung erhielt Gütersloh 1969 durch die kommunale Neugliederung. »Mit den Eingemeindungen von Friedrichsdorf, Avenwedde und Spexard aus dem aufgelösten Amt Avenwedde wurde der gewachsenen Verflechtung zwischen der Stadt und den Nachbargemeinden Rechnung getragen«, so Stadtarchivar Stephan Grimm im Heimatjahrbuch 2000 zum Thema Stadtentwicklung.
Gütersloh wurde groß. Aus dem Landkreis Bielefeld beziehungsweise dem Amt Brackwede kamen die Gemeinden Isselhorst, Ebbesloh, Hollen und Niehorst hinzu sowie kleinere Gebietsteile der Gemeinde Ummeln. Dazu kamen noch Gebiete von Nordrheda-Ems, Lintel, Varensell und Verl. Mit dem Inkraftreten des sogenannten »Gesetzes zur Neugliederung des Kreises Wiedenbrück« wuchs 1970 die Einwohnerzahl um 20.348 auf 79.275 Einwohner – das ehemals überschaubare Stadtgebiet machte den Sprung von 47,7 auf mehr als 111 Quadratkilometer.
1973 trat das sogenannte »Bielefeld-Gesetz« in Kraft. Gütersloh wurde Kreisstadt. Die alten Kreise Wiedenbrück und Halle wurden zu einer neuen Einheit, dem Großkreis Gütersloh verbunden, dessen sichtbarer Ausdruck das gemeinsame Autokennzeichen GT wurde. Güterslohs Innenstadt gab sich in den 1970er-Jahren ein neues Gesicht. Im Oktober 1970 wurde das 1863 bis 1864 im neugotischen Stil errichtete Rathaus abgerissen.
In Gütersloh herrschte Euphorie – Stadtplaner, Einzelhändler und die Mehrheit der Bürgerschaft waren sich einig, den Verkehr aus der Innenstadt zu verbannen und Fußgängerzonen zu schaffen. Am 27. November 1972 wurde um 13.30 Uhr schließlich Güterslohs erste Fußgängerzone in der Berliner Straße zwischen Strengerstraße und Kökerstraße freigegeben. Dieses Stück war nur der Anfang, der Ausbau der unteren Berliner Straße, des Berliner Platzes und der Königstraße folgten. Zeitlich zusammen mit der Einführung der Fußgängerzone fiel auch die Fertigstellung des sogenannten »Südtors«, dem Kreuzungsbereich Blessenstätte/Berliner Straße/Unter den Ulmen.
Sportbegeisterte erlebten am 12. Mai 1978 den Zusammenschluss zweier führender Gütersloher Vereine, die im Fußball einen guten Namen besaßen. Die Sportvereine Arminia von 1918 – kurz SVA – und die Deutsche Jugendkraft – kurz DJK – fusionierten zum F.C. Gütersloh.
1979 bis 1989
In dieser Zeit wurden vor 25 Jahren die Weichen für wichtige Projekte auf dem Kultur- und Bildungssektor gesetzt. Das Jahr 1984 gehört zu den wichtigsten in der Epoche. Am 3. Mai 1984 fand im Beisein des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Hans Schwier, die feierliche Schlüsselübergabe für die neue Stadtbibliothek Gütersloh statt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde eine städtische Bibliothek als GmbH geführt. 51 Prozent der Geschäftsanteile lagen bei der Stadt Gütersloh, die Bertelsmann Stiftung beteiligte sich mit 49 Prozent. Die Bertelsmann Stiftung übernahm Baukosten in Höhe von 19 Millionen Mark – die Hälfte. Darüber hinaus brachte sie die führungstechnischen und organisatorischen Erfahrungen mit ein. Die finanzielle Unterstützung durch die Stiftung war zeitlich begrenzt, die Betriebskosten hatte vertragsgemäß die Stadt zu übernehmen. Inzwischen wird die Bibliothek durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten für die Verbraucherberatung und BIGS genutzt. Als Forum für Ausstellungen, Lesungen, Vorträge und Gruppenveranstaltungen hat die Einrichtung eine große Bedeutung.
Im Dezember 1979 diskutierten Vertreter des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums und der Bertelsmann Stiftung ein medienpädagogisches Projekt – die Einrichtung einer »Mediothek« am ESG, das zur Unterzeichung eines Kooperationsvertrags am 20. März 1981 führte. Am 26. Oktober 1984 eröffnete Ministerpräsident Johannes Rau die Einrichtung. Seitdem wurden Computer in fast allen Bereichen zum wichtigen Bestandteil des Unterrichts. Leseerziehung und der Einsatz von audio-visuellen Medien und Software gehören zu den Erfahrungsinhalten der ESG-Schüler.
Vor 25 Jahren wurden nach jahrelangen Diskussionen auch das Stadtarchiv eingerichtet. Mit der Einstellung von Stadtarchivar Stephan Grimm zum 1. Oktober 1984 begann erstmals eine Ordnung, Pflege und Nutzung der städtischen Archivalien.
Darüber hinaus standen im Jahr 1984 die Eröffnung des soziokulturellen Zentrums »Alte Weberei«, die 800-Jahr-Feier der Stadt Gütersloh, die Aufstellung des Synagogengedenksteins Ecke Daltropstraße/Feldstraße sowie die Aufstellung von vier zum Teil neuen Brunnenanlagen im Stadtgebiet im Fokus des öffentlichen Interesses.
1989 bis 1999
In die Zeit von 1989 bis 1990 fiel die Wiedervereinigung mit der deutschen Einheit. Die Zahl der DDR-Übersiedler stieg 1989 auch in Gütersloh schnell an. Von Jahresbeginn bis zum 12. Oktober 1989 kamen mehr als 200 Personen, davon die meisten in den letzten drei Monaten des Jahres.
»DDR-Bürger in Gütersloh: Freude, Staunen und ein dickes Dankeschön« – mit dieser Überschrift titelte eine Gütersloher Tageszeitung einen Bericht über die Ankunft des ersten Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik, die ohne Drangsalierung über die innerdeutsche Grenze einreisen durften. Güterslohs Stadtverwaltung reagierte und sorgte für die Auszahlung eines »Begrüßungsgeldes« in Höhe von 150 Mark.
Weiteres bedeutendes Datum in der Zeit von 1989 bis 1999: Am 4. November 1994 wurde Maria Unger (SPD) zur neuen Bürgermeisterin gewählt. Sie war damit die erste Frau in diesem Amt. Ihre Stellvertreter wurden Gerhard Piepenbrock (CDU) und Siegfried Kornfeld (»Bündnis 90/Die Grünen«).
Die Sitzung verlief äußerst harmonisch, die Zuschauer standen bis auf die Gänge. Gewählt wurde Güterslohs erstes weibliches Stadtoberhaupt mit den 28 Stimmen von SPD und »Grünen«. Ihr erster Stellvertreter wurde Gerhard Piepenbrock, der 22 Stimmen von CDU und FDP erhielt. Zweiter Stellvertreter wurde Siegfried Kornfeld. Zum ersten Mal stellten nun auch die »Grünen« – nach zehn Jahren Ratsarbeit – einen Bürgermeister. Die SPD musste sogar 40 Jahre warten, bis ein Mitglied aus ihrer Partei den Bürgermeistersessel übernehmen konnte.
In einer Rede dankte die »erste Bürgerin« der Stadt denen, die Vertrauen in sie gesetzt hatten« und bat um die Unterstützung derer, die sie nicht gewählt hatten. Sie sah sich selbst als Mittlerin zwischen Rat und Verwaltung und als Partnerin der Verwaltung, betonte Maria Unger damals. Sie schloss ihre Antrittsrede mit einem Spruch von Michail Gorbatschow: »Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne Kritik Demokratie geben kann« … sie erhoffte sich für die bevorstehenden Aufgaben als Bürgermeisterin Wohlwollen, aber auch kritische Begleitung. Maria Unger wurde umringt von einer Schar Gratulanten aus allen Fraktionen und durfte einen großen Strauß roter Nelken von ihren Parteifreunden entgegennehmen.
1999 bis 2009
Zu den wichtigen Themen in der Zeit von 1999 bis 2009 gehört ohne Zweifel der jahrelange Streit um das Theater, das nunmehr 2010 seine Tore öffnen wird. Beinahe hätten es die »Bürger für Gütersloh« (BfGT) um Ratsherr Norbert Morkes geschafft, das Theater zu verhindern. Nach wie vor ist das Projekt in großen Teilen der Bevölkerung umstritten. Viele Gütersloher halten es für zu teuer und überdimensioniert.
Die Befürworter um Kulturdezernent Andreas Kimpel halten das neue Theater jedoch für eines der ambitioniertesten Investitionsprojekte der Stadtgeschichte: Haus an Haus mit der Stadthalle soll das neue Theater wachsen. »Das geplante Hotel nebenan ist die ideale Ergänzung. So bietet das intelligente Zentrum für Kultur, Kongresse und Veranstaltungen aller Art eine erstklassige Infrastruktur mit perfekter Logistik – ein unwiderstehlicher Besuchermagnet in einer durch ihre Wirtschaftsstruktur international ausgerichteten, prosperierenden Stadt«, so die Kulturmacher auf ihrer Website …
Städtebaulich setzte die Fertigstellung des Kolbeplatzes am 23. Oktober 1999 Akzente. Das neue Geschäftszentrum wurde als »junges Geschäftszentrum« mit moderner und variantenreicher architektonischer Gestaltung konzipiert. Im Fokus der aktuellen Diskussion stehen die Bebauung des Wellerdiek-Areals mit einem Einkaufszentrum und der Lückenschluss am Kolbeplatz, der durch die Familie Finke in die Diskussion gebracht wird.
Der deutsche Ableger des israelischen Immobilien-Unternehmens Gazit plant auf dem Areal bei Wellerdiek ein Einkaufszentrum mit einer Verkaufsfläche von 17.000 bis 20.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Die Arbeitsgemeinschaft Gütersloher Innenstadt lehnt das Vorhaben entschieden ab, weil es dem Einzelhandel schade und städtebaulich nicht zu Gütersloh passe …
Diverse Gutachten, Plausibilitätsprüfungen und etliche Stellungnahmen aus allen Richtungen – die Entscheidung ist im Wahljahr 2009 durch die Kommunalpolitik aber noch nicht getroffen worden.
Eröffnung der Ausstellung bei Karstadt
Karstadt und Gütsel haben eine Ausstellung zum 60-jährigen Bestehen der Bundesrepublik im Karstadt-Kaufhaus am Berliner Platz präsentiert. Gezeigt wurden Fotos und Ereignisse aus Gütersloh in den vergangenen 60 Jahren. Auch Bürgermeisterin Maria Unger war dabei, als Filialleiter Klaus-Peter Kundörfer die Ausstellung offiziell eröffnete. Die Bild- und Texttafeln wurden digital beim »Stadtmarketing« präsentiert.