Von Christian Schröter, 23. Dezember 2021, Lesedauer 6 Minuten, 37 Sekunden
Irische Datenschutzbehörde verlangt Verschwiegenheitsvereinbarung und schließt noyb aus Verfahren aus. noyb wendet sich an Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Die irische Datenschutzkommission (DPC) hat noyb aufgefordert, innerhalb eines Arbeitstages eine »Verschwiegenheitsvereinbarung« (non-disclosure agreement, NDA) zu unterzeichnen. Ohne eine solche Geheimhaltungsvereinbarung zugunsten der DPC und Facebook würde die DPC die Rechte der Beschwerdeführerin in einem laufenden Verfahren aussetzen. Schrems: »Die irische Behörde will jede Kritik unterbinden. Die Behörde schließt uns aus dem Verfahren aus, wenn wir uns nicht vertraglich verpflichten, den zu Mund halten. Wir haben den Vorfall bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gemeldet. Die DPC verlangt eindeutig ein ›quid pro quo‹, was in Österreich eine illegale Vorteilsannahme darstellen könnte.«
Facebook würde von einem NDA besonders profitieren, da laut neuen Dokumente die anderen EU-Datenschutzbehörden Facebooks »DSGVO-Umgehung« und damit die Nutzung der personenbezogener Daten seit 2018 möglicherweise für illegal erklären, was erhebliche Auswirkungen auf das Geschäftsmodell des Social Media Giganten in Europa hätte.
Verfahrensrechtlicher Hintergrund. Als die DSGVO am 25. Mai 2018 in Kraft trat, wollte Facebook die Zustimmungserfordernisse der DSGVO umgehen, indem es zu einem angeblichen Vertrag über die Nutzung personenbezogener Daten übergegangen ist. noyb hat eine Beschwerde bei der österreichischen Datenschutzbehörde (DSB) eingereicht, die aufgrund Facebooks Hauptsitz in Irland an die irische Datenschutzkommission weitergeleitet wurde. Nach mehr als drei Jahren erließ die irische Datenschutzbehörde einen »Entscheidungsentwurf«, in dem Facebooks Umgehung der DSGVO für rechtmäßig befunden wurde. Nachdem noyb diese Entscheidung veröffentlicht hatte, forderte die Datenschutzbehörde noyb auf, die Entscheidung der Datenschutzbehörde sowie noybs eigene Stellungnahmen zu löschen – ohne jegliche Rechtsgrundlage.
Keine Rechtsgrundlage für Verschwiegenheitsvereinbarung mit Behörde. Die DPC hat keine Rechtsgrundlage für die Forderung, dass Dokumente in einem öffentlichen Verfahren mit Millionen Betroffenen vertraulich behandelt werden müssen: Zum einen ist die DPC außerhalb Irlands nicht zuständig. Aufgrund des Kooperationsmechanismus der DSGVO müssen die Dokumente über die österreichische Datenschutzbehörde zugestellt werden und unterliegt somit dem geltenden österreichischen Recht (§ 17 AVG). Wie die österreichische Datenschutzbehörde bestätigte, unterliegen derartige Verfahrensdokumente nicht der Geheimhaltung. Zum anderen gebe es auch nach irischem Recht keine gesetzliche Verpflichtung für die Parteien, Dokumente vertraulich zu behandeln. Section 26 des irischen Datenschutzgesetzes, auf den sich die Datenschutzbehörde beruft, ist eine generelle Amtsverschwiegenheit und gilt nur für die Beamt:innen der Datenschutzbehörde (»relevant person«), nicht für die Parteien in Verfahren. In Ermangelung einer solchen gesetzlichen Vertraulichkeitspflicht verlangte die DPC nun eine »Vereinbarung«, die im Gesetz nicht vorgesehen ist und sogar rechtswidrig wäre. Obwohl die Beschwerde bei der österreichischen Behörde eingereicht wurde, soll sich noyb sogar der irischen Gerichtsbarkeit unterwerfen.
Max Schrems, Vorsitzender von noyb.eu: »Die irische Behörde hat die Verpflichtung uns zu hören, aber sie hat uns nun praktisch erpresst: Prozessrechte wurden davon abhängig gemacht, dass wir eine Verschwiegenheitsvereinbarung zu Gunsten der Behörde und Facebook unterzeichnen.«
Die irische DPC ignoriert alle rechtlichen und faktischen Bedenken, die von noyb vorgebracht wurden. Alternative Vorschläge, wie zum Beispiel die direkte Offenlegung der Dokumente an die betroffenen Person oder die Zusicherung, dass noyb ohnehin nicht vor hat die Dokumente zu veröffentlichen, änderten nichts an der Forderung der Datenschutzbehörde nach einer Gegenleistung für die weitere Gewährung von Prozessrechten.
Enormes Problem für Facebook droht. Die Schreiben der DPC werfen nicht nur Fragen darüber auf, wie die Behörde arbeitet sondern zeigen auch, dass andere europäische Datenschutzbehörden »relevante und begründete Einwände« gegen den Entscheidungsentwurf eingereicht haben. Wenn die anderen europäischen Datenschutzbehörden eine Mehrheit darstellen und den Entscheidungsentwurf der irischen Datenschutzbeauftragten kippen, droht Facebook ein juristisches Desaster: Der Großteil der kommerziellen Datennutzung in der EU könnte rückwirkend für illegal erklärt werden. Da die Datenschutzbehörden 2019 Leitlinien verabschiedet haben, die für Facebooks Position sehr ungünstig sind, ist ein solches Szenario sehr wahrscheinlich.
Schrems: »Wenn die anderen Behörden den Entwurf der Iren umdrehen, würde das wahrscheinlich bedeuten, dass große Teile der Datennutzung von Facebook in Europa für illegal erklärt würden. Das würde nicht nur zu hohe Strafen führen, sondern es drohen auch Schadensersatzklagen von Millionen von Nutzern. Facebook hat ein großes Interesse daran, die Details dieses Verfahrens geheim zu halten. Facebook profitiert damit direkt von dem rechtswidrigen Vorgehen der Behörde.«
»Vorteilsannahme« ist strafrechtlich relevant. Die geforderte NDA wäre nicht nur für Facebook, sondern auch für die Datenschutzbehörde von großem Nutzen. Die irische Datenschutzbehörde steht ständig unter Beschuss von anderen Datenschutzbehörden, öffentlichen Untersuchungen und den Medien. Wenn noybs Meinungsfreiheit durch ein NDA behindert würde, können keine legitime Kritik oder Diskussion mehr geführt werden. Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch kann das Verlangen eines Vorteils (selbst eines kleinen oder immateriellen Vorteils) für die rechtmäßige Erfüllung öffentlicher Aufgaben (hier das Recht auf Anhörung) eine strafbare Handlung darstellen (§ 305 StGB). Wenn noyb einen solchen Vorteil gewährt, indem es eine NDA als direkte Gegenleistung unterschreibt, damit die DPC ihre gesetzlichen Pflichten erfüllte, könnten noyb und die Mitarbeiter selbst möglicherweise eine Straftat begangen haben (§ 307a StGB).
Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. noyb hat eine Sachverhaltsdarstellung bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingebracht. Da das Ziel der möglichen Straftat ihren Sitz in Österreich hat, dürfte das österreichische Strafgesetz anwendbar sein. Die WKStA hat zu prüfen, ob eine Anfangsverdacht vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Schrems: »Generell haben wir einen sehr guten und professionellen Austausch mit den Behörden. Wir haben diesen Schritt daher nicht leichtfertig gesetzt, aber das Verhalten der DPC überschreitet sämtliche roten Linien. Sie verweigern uns im Grunde genommen alle Rechte auf ein faires Verfahren, wenn wir nicht den Mund halten. Die österreichischen Korruptionsgesetze sind weitreichend: Wenn ein Beamter den geringsten Vorteil fordert, um eine gesetzliche Aufgabe zu erfüllen, können das strafrechtlich relevant sein. Es macht rechtlich keinen Unterschied, ob man unrechtmäßig Verschwiegenheit oder eine Flasche Wein verlangt.«
Hintergrund und noybs übliches Vorgehen. noyb ist stolz darauf, einen sehr positiven und professionellen Austausch mit den meisten Datenschutzbehörden zu haben. noyb hat seit Beginn der Vereinstätigkeit Mitte 2018 Hunderte von Dokumenten erhalten. Wir veröffentlichen Dokumente ausschließlich im rechtlich zulässigen Umfang und nur wenn sie von großer öffentlicher Relevanz sind oder zur Untermauerung unserer Aussagen notwendig sind. Leider deklarieren die DPC und Facebook praktisch jedes Dokument standardmäßig als »streng vertraulich« und haben den Mitarbeitern von noyb und unseren Anwälten wiederholt gedroht, Inhalte nicht zu zitieren, zu diskutieren oder zu veröffentlichen. Die irische Behörde gibt relevante Dokumente nicht einmal an andere Datenschutzbehörden weiter, was im Widerspruch zu ihren Pflichten gemäß der DSGVO steht. Dieser Ansatz der totalen Geheimhaltung zugunsten multinationaler Unternehmen entbehrt nicht nur in Irland jeder rechtlichen Grundlage, sondern verstößt auch gegen europäisches Recht. Damit untergräbt die DPC das Recht auf freie Meinungsäußerung, insbesondere wenn es Kritik an der DPC in ihrer Rolle als Entscheidungsträger betrifft. Dennoch haben wir bisher auf freiwilliger Basis Dokumente meist nicht offengelegt, um Debatten mit der DPC und Facebook zu vermeiden. Diese freiwilligen Bemühungen haben offensichtlich nicht gefruchtet.
noyb kündigt »Adventslesungen« aus Facebook-Akten an. Aus Protest gegen die Situation und um zu zeigen, dass noyb Dokumente unter Einhaltung des geltenden Rechts diskutieren darf, führen wir »Adventslesungen« aus verschiedenen Facebook- und DPC-Dokumenten durch. An jedem Adventssonntag wird noyb ein anderes Facebook-Dokument zusammen mit einem Erklärungsvideo veröffentlichen.
Schrems: »Wir hoffen sehr, dass Facebook oder die DPC rechtliche Schritte gegen uns einleiten. Damit können wir endlich klarstellen, dass die Meinungsfreiheit über der Geheimniskrämerei eines multinationalen Unternehmens und seiner vom Steuerzahler finanzierten Handlanger steht. Wir gehen jedoch davon aus, dass sie selbst wissen, dass sie keine rechtliche Grundlage haben und aus diesem Grund auf Erpressung zurückgreifen.«
Die »Adventslesung« wird auf noyb.eu veröffentlicht – »sei dabei!«