Mit ihrem Bollerwagen Café besuchen die beiden Stadtteilkoordinatoren Sonja Frisch (rechts) und Benjamin Niksch auch die Menschen in Brackwedes Randbereichen. Die ersten Termine stehen fest. Foto: Asad Gholami
Von Christian Schröter, 16. April 2022, Lesedauer 10 Minuten, 11 Sekunden
»Mensch ist das schön, dass ihr sowas macht«, was die Stadtteilkoordination des Diakonieverbandes Brackwede unternimmt
Bielefeld-Brackwede, 16. März 2022
Stadtteilkoordinatorin Sonja Frisch und ihr Kollege Benjamin Niksch wollen etwas bewirken gegen das »Nebeneinanderher Leben« in Brackwede. Die Situation ist nicht ganz einfach im ehemals »größten Dorf Europas«: Alteingesessene sehnen sich zurück nach ihrem guten alten Brackwede, mit einer belebten Fußgängerzone als Treffpunkt und mit vielen inhabergeführten Geschäften entlang der Hauptstraße. Andere fühlen sich noch nicht ganz heimisch in der »Zuwanderungsstadt« Bielefeld, wie Sozialdezernent Ingo Nürnberger sie kürzlich nannte. Grundsätzlich stellt Sonja Frisch fest: »Es fehlt einfach die Durchmischung in Brackwede. Daher sehen wir es als unsere Aufgabe, die Menschen miteinander in Kontakt zu bringen.«
Dies erst recht angesichts der neuen großen Herausforderung an die Stadtgesellschaft: Immer mehr geflüchtete Menschen aus der Ukraine kommen auch nach Brackwede, um ein neues Zuhause finden. Die Stadtteilkoordinatoren des Diakonieverbandes Brackwede arbeiten eng verknüpft mit den Akteuren des »Runden Tisches »Begegnung Brackwede« oder auch der Freiwilligenagentur und dem IBZ Friedenhaus.
Ein gutes Beispiel für diese Zusammenarbeit ist der Umgang mit dem Ukraine Konflikt
Nachbarschaftshilfe gebraucht
Zurück zum Thema #Pandemie, die in den vergangenen zwei Jahren das Leben in Brackwede einschränkte. In dieser Zeit sei es besonders schwierig gewesen, etwas zu bewegen: »Am Anfang fühlten wir uns ziemlich hilflos«, erinnert sich Sonja Frisch, die seit Ende 2017 als Stadtteilkoordinatorin des Diakonieverbandes Brackwede arbeitet. »Seit März 2020 konnte ja vieles nicht mehr stattfinden, aber ziemlich schnell zeigte sich, dass zum Beispiel Nachbarschaftshilfe gebraucht wurde. Also haben wir für Leute in Quarantäne ein Hilfswerk aufgebaut, zusammen mit dem ›Kooperationskreis Alter‹.« Es vermittelte Einkaufshilfen und hielt telefonisch Kontakt mit den isolierten Menschen.
Spontane Gespräche am Glücksrad
Außerdem gingen die Stadtteilkoordinatoren immer wieder hinaus zu den Menschen auf die Straße. »So gelang es, viele unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen«, berichtet Sonja Frisch.
Immer wieder habe sich gezeigt, wie einsam Menschen waren. Zum Beispiel am »Tag der Komplimente« im Januar 2022: Mit einem Glücksrad standen die Koordinatoren mit Bettina Platzbecker vom Begegnungszentrum und Servicezentrum Neue Schanze damals an der Hauptstraße. Sie verteilten kleine Postkarten mit Komplimenten und ermunterten die Menschen, ihren Lieben anlässlich dieses Tages ein paar nette Zeilen zukommen zu lassen. Vor allem von älteren Menschen kam die Reaktion: »Mensch ist das schön, dass ihr sowas macht. Es findet ja nichts statt und ich bin so einsam in letzter Zeit.«
Benjamin Niksch erinnert sich noch gut an die negative Stimmung, als 2021 ein Adventsmarkt nach dem anderen abgesagt werden musste. »Wir haben daraufhin gemeinsam mit dem Runden Tisch Begegnung 23 kleine Aktionen im Stadtteil veranstaltet, wobei besonders die Verteilung von kleinen Geschenken oder Musik im öffentlichen Raum gut ankam. So wurden beispielsweise Adventstütchen oder ein selbstgemachter Rubbel-Adventskalender verteilt, und wir sind mit den Menschen ins Gespräch gekommen. So ließ sich ein ‚wir-sind-da-Gefühl‘ schaffen. Es war Wahnsinn, wie positiv die Leute darauf reagiert haben.« »Da kommt ja richtig Weihnachtsstimmung auf«, hätten manche gesagt, um sogleich zu fragen: »Macht ihr das jetzt jeden Tag?«
Jugendliche träumen von #Sport und #Spiel im #Park
#Kinder und Jugendliche werden von den Aktionen ebenfalls magisch angezogen. Vor allem dann, wenn nicht sofort erkennbar ist, worum es geht. »Dann sind Kinder und Jugendliche oft die ersten, die nachfragen«, berichtet Sonja Frisch. Und so beginnen kurze Gespräche, etwa am »Wunschbaum«, für den kleine Zettel ausgefüllt werden konnten. Nebenbei erzählten die Jugendlichen, dass es zu wenig Angebote für sie in Brackwede gebe. »Sie sagen: Hier ist es stinklangweilig. Wir müssen in die Innenstadt gehen, oder wir treffen uns mal im Eiscafé. Ja, es gibt hier Jugendzentren, aber die nutzt auch nicht jeder.« Auf den Wunschzetteln stehen zum Beispiel Bitten um mehr Sport- und Spielangebote wie zum Beispiel ein Basketballturnier oder ein Spielmobil im Stadtpark.
Was 2022 sonst noch auf dem Plan steht
Die Stadtteilkoordinatoren haben aus all dem ihre Schlüsse gezogen und neue Pläne entwickelt. Einige wurden bereits umgesetzt, wie zum Beispiel eine Simulation zum Weltfrauentag am 8. März 2022: Rund 100 Brackwederinnen beantworteten Fragen zu Vorurteilen wie: »Frauen können kein Mathe«, »Frauen können nicht Autofahren« et cetera. Am Aktionstag durften die Passanten schließlich die Antworten raten. Die Frage nach der Mathenote auf dem Abschlusszeugnis ergab beispielsweise die Durchschnittsnote 2,7, wobei die Passanten den Brackwedern deutlich schlechtere Noten unterstellten.
Ein Schwätzchen mit den beiden Stadtteilkoordinatoren bei Kaffee, Tee und Musik wird verbunden mit einem künstlerischen Projekt. Zusammen mit dem Filmemacher Asad Gholami möchten die Stadtteilkoordinatoren ein Kurzvideo drehen. Im Ergebnis sollen 100 Brackweder*innen zu sehen sein, vor möglichst vielen markanten Plätzen in Brackwede. Asad Gholami hat bereits mehrere Kurzfilme gedreht, ein Beispiel seiner Arbeit ist bei Youtube zu finden.
Mit Online Events der »Über den Tellerrand« Initiative erreichen die Stadtteilkoordinatoren auch Menschen in anderen Städten. In der Regel wird vorher gekocht und dann am Bildschirm gemeinsam gegessen und miteinander geredet.
Außerdem in Planung sind …
Die Beteiligung an einer neuen Ausgabe des Frauenmagazins »BraF« wird vom Brackweder Frauentreff vorbereitet
Wer Interesse hat, die Vorhaben zu unterstützen und sich ehrenamtlich zu engagieren, kann sich direkt an Benjamin Niksch und Sonja Frisch wenden, Telefon +4952194239120, oder per E Mail. Sie koordinieren auch den Runden Tisch »Begegnung Brackwede«.
Rückblick: Was seit 2020 möglich war
Das Programm in der #Corona Zeit war vielfältig und richtete sich an alle Altersgruppen. Ob Andacht, Gymnastik oder Musik vor der Service Wohnanlage an der Sennerstraße, ein zweitägiges Open-Air-Kinoevent im Innenhof des Lyceums inklusive Unterhaltung für Kinder (September 2021), oder »Kultur unter der Platane«. Außerdem gab es gezielte Aktionen, wie die U 18 Wahl – eine Simulation für Kinder und Jugendliche, die noch nicht wählen dürfen (wir berichteten). Dazu gab es einen kleinen Demokratie-Workshop plus Falafel aus dem Bollerwagen »Bolle«.
»Wir hatten eigentlich für Juli 2020 zusammen ein großes Straßenfest auf dem Treppenplatz geplant. Daraus wurde wegen Corona nichts«, erinnert sich Sonja Frisch. »Aber ich fand es schön, dass die Leute richtig aktiv geworden sind. Sie haben Corona auch als Chance genutzt, um von ihren alten Formaten wegzudenken und sich neue Aktionen einfallen zu lassen.
Was gemeinsam unternommen wurde (Beispiele)
2020 wurde der »Adventskalender der Vielfalt« ebenfalls realisiert. Da die Corona Beschränkungen damals noch strenger waren, setzten die Beteiligten lediglich auf Beleuchtung. Um Menschenansammlungen zu vermeiden, durfte die jeweilige Beleuchtungsaktion 2020 erst auf der Website angekündigt werden, kurz bevor es losging.
Digitale Treffen
Wie bei vielen anderen Vereinen und Verbänden ersetzen Netzwerktreffen häufig die persönliche Begegnung. So gab es im Juni 2020 erstmals eine Online Stadtteilkonferenz (Termine, Archives, Runder Tisch »Begegnung Brackwede«.
Zur Unterstützung wurden Tablets verliehen und technische Unterstützung angeboten. Doch die Resonanz war begrenzt, wie Sonja Frisch berichtet: »Wir haben uns bemüht, aber wir haben es nicht geschafft, alle mitzunehmen.« Immerhin sei der Großteil dabeigeblieben. Ehrenamtliche, die schon beruflich viel online zu tun hatten, hatten wenig Lust, sich abends nochmals für ein Vernetzungstreffen vor den Rechner zu setzten. Andere zeigten Berührungsängste gegenüber Zoom. »Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl kommt bei #Zoom gar nicht auf«, so die Erfahrung der Koordinatorin.
Sehr beliebt war hingegen der »Digitale Frühstückstisch«. Man kann ihn sich vorstellen wie eine Sendung im Frühstücksfernsehen, mit Live-Cooking und Geschichten. »Wir haben den Termin vorher in der Zeitung angekündigt«, so Benjamin Niksch. »Menschen aus drei Länder haben Brot backen, nach einem türkischen, einem usbekischen und einem englischen Rezept.«
Nach diesen Erfolgen soll es weitere virtuelle Kochshows geben.
Der Runde Tisch »Begegnung Brackwede«
Die Stadtteilkoordinatoren begleiten unter anderem den Runden Tisch »Begegnung Brackwede«. Er wurde im Jahr 2018 aktiv. Eine feste Liste von Akteuren gibt es nicht. Es handelt sich um rund 20 Vereine und etwa 50 Ehrenamtliche, die über Glaubensrichtungen hinweg zusammenarbeiten.
Mit von der Partie sind das »Begegnungszentrum Neue Schanze«, der »Treffpunkt Alter« sowie die Naturfreunde Brackwede und die Fachstelle Migration von Bethel.regional, aber auch Migrantenorganisationen wie der Alevitische Kulturverein, der Türkisch Aserbaidschanische Kulturverein, die Hicret Moschee und die Vatan Moschee.
Zusätzlich stehen die Stadtteilkoordinatoren vom DiakonieVerband Brackwede im engen Austausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Bereichen Bielefelds.
Die Stadtteilkoordination Brackwede
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