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Von Christian Schröter, 19. März 2023, Lesedauer 8 Minuten, 17 Sekunden
Gütersloh Music Nights 2011, Gütsel Interview, Ray Wilson, Ex Genesis, Gütersloh
Hamburg, März 2011
Gemeinsam mit Erwin Redakteur Oliver Herold haben wir am Freitag, 11. März 2011, in Hamburg mit Ray Wilson über die Gütersloh Music Nights, Genesis Klassik und sein musikalisches Wirken gesprochen. Wir haben Ray Wilson, der am 8. April 2011 mit seinem Programm »Genesis Klassik« und dem Berlin Symphony Ensemble in die Stadthalle kommt, in einem Hamburger Radiosender getroffen.
Die Frage, ob er 501 Jeans trüge, verneint Ray Wilson. Zum Hintergrund: Die Debütsingle »Inside« seiner Band »Stiltskin« wurde 1994 für den Werbespot der Jeansfirma Levi’s 501 verwendet und dadurch schnell zu einem Hit in den meisten europäischen Ländern.
Du kommst mit dem #Genesis #Klassik Programm nach Gütersloh. Wer hatte die Idee zu diesem Projekt?
Daran waren viele Leute beteiligt. Ich habe viele ähnliche Projekte, bei den meisten sind Orchester beteiligt. Beispielsweise war ich dabei, als die Scorpions so etwas gemacht haben – ich habe bei diesem Konzert mit ihnen gesungen. Es ist schön, mit einem Orchester zu arbeiten, aber ich denke, man entfernt sich dadurch sehr vom Original. Und das wollte ich nicht. Ich nahm Keyboard und Synthesizer Parts und ersetzte sie durch ein Streicherquartett und ein klassisches Piano, sodass es nicht wie ein Orchester mit Gesang klang. Ist es schwierig, mit einem Orchester zu spielen? Ich würde nicht sagen, dass es schwierig ist. Es gibt viele hervorragende Orchester und die Musiker sind normalerweise sehr talentiert. Es ist eine besondere Erfahrung. Die Songs werden durch das Orchester verändert. Aber ich wollte den »Rockband-Filter« beibehalten und etwas anderes machen. Und das funktioniert gut und kommt auch gut an.
Haben die Genesis Musiker Dir erlaubt, die Songs zu spielen?
Das steht außer Frage – sie können mich nicht stoppen.
Und mögen sie es?
Das weiß ich nicht. Sie haben sich immer zu allererst als Songwriter gesehen. Als sie angefangen haben, dachte niemand daran, Rockstar zu werden. Sie waren Songschreiber und wollten Songs für andere Musiker schreiben. Dann wurden sie als Band erfolgreich. Ich kann mich aus meiner Zeit bei Genesis daran erinnern, dass sie etwas frustriert waren, dass niemand ihre Songs gecovert hat. Und ich glaube, dass überhaupt niemand eine Coverversion eines Genesis-Songs gemacht hat. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden »Land of Confusion« und vielleicht ein oder zwei weitere Songs von einer Popband gecovert. Aber zu meiner Zeit hat das niemand gemacht. Und das hat sie sehr frustriert – sie haben mehr als 100 Millionen Platten verkauft und niemand hat ihre Songs gecovert. Ich hatte immer einen Draht zu Genesis, ich habe mit ihnen gesungen, Songs geschrieben … und ich bin, glaube ich, der einzige, der das ganze am Leben erhält.
Wie ist Deine Beziehung zu den Mitgliedern von Genesis?
Im Prinzip habe ich keine Beziehung zu den Mitgliedern von Genesis. Zuletzt habe ich sie vor 3 Jahren in Hannover bei der »Turn it on«-Tour gesehen. Das hat mich natürlich gefreut – es freut mich immer, sie zu treffen. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet und leben jetzt verschiedene Leben. Sie leben in ihren Villen in Südengland, Phil lebt in Genf, und ich lebe jetzt in Polen – vorher habe ich in Schottland gelebt.
Du lebst jetzt also in Polen?
Ja. Ich wohne in Posen. Wegen meiner Freundin, die ich vor einigen Jahren getroffen habe. Ich war auf einer Tour in Polen und meine Freundin war eine Tänzerin. Ich habe mich in sie verliebt. Zu dieser Zeit befand ich mich gerade in einer Scheidungsphase … und ich habe meiner ehemaligen Frau alles gegeben – mein Haus, mein Auto … alles in Liebe. Aber ich bin immer noch sehr gut mit meiner Exfrau befreundet.
Gefällt es Dir, in Polen zu leben?
Ja. Ich bin ein großer Fan von Osteuropa. Mir scheint, die Menschen haben dort sehr viel Charakter. Etwas, was die Menschen bei uns im Westen verloren haben. Sie haben immer noch eine »Seele«. Wir haben diese Seele scheinbar verloren und alles »sterilisiert«. Offenbar geht es uns zu gut, die Wirtschaft in den meisten europäischen Ländern läuft sehr gut. Und so haben wir den Familiensinn und den Kontakt zu anderen verloren – selbst wenn wir dank der modernen Technik beispielsweise per E Mail mit anderen Menschen reden können.
Können wir das zurückbekommen?
Ich glaube schon. Wenn die Zeiten härter werden, rücken wir näher zusammen. Ich glaube schon, dass die Menschen das immer noch wollen, aber nicht wissen, wie sie es anstellen sollen. In den 70er Jahren, als ich ein kleiner Junge war, hatten wir in Schottland diesen Familiensinn. Aber zu dieser Zeit hatten wir auch kein Geld. Als die Zeiten hart waren, sind die Menschen zusammengerückt. Das scheint in unserer Gesellschaft verloren gegangen zu sein. Aber ich mag es – und in Osteuropa existiert das noch.
Glaubst Du, die Musik kann die Menschen zusammenbringen?
Ich glaube, Musik bringt die Menschen zusammen. Schau Dir zum Beispiel Deutschland an. Die Deutschen hören viel Livemusik und haben wunderbare Clubs. Es gibt hier viele passionierte Promoter, die wie Rockstars leben und Rockclubs haben. Das ist in dieser Beziehung eine gute Kultur in Deutschland.
Du magst es, in Clubs zu spielen?
Ja – ich habe immer in Clubs gespielt. Es ist eine besondere Erfahrung, mit einer Akustikshow vor 100 oder 120 Leuten zu spielen – völlig anders, als mit »Genesis Klassik« vor 5.000 oder 6.000 Menschen aufzutreten. Du trittst einfach anders auf. Ich mag es, das Weiße in den Augen der Zuschauer zu sehen und sehen zu können, wenn sie lachen oder weinen. Die Emotionen gefallen mir. In den vergangenen zehn Jahren habe ich versucht, das so oft wie möglich zu tun.
Kennst Du Gütersloh?
Leider nicht. Aber ich werde es kennenlernen. Ich glaube, ich bin seit vielen Jahren mehr in Deutschland unterwegs, als die meisten Deutschen. Aber ich war noch nicht in Gütersloh. Ich kenne Buxtehude, Melle, Bünde.
Gefällt Dir der Charity Charakter des Konzerts in Gütersloh?
Es ist immer gut, diese Dinge zu tun. Ich habe selbst eine Stiftung in Polen und habe oft mit solchen Dingen zu tun. Meine erste Veröffentlichung überhaupt kam krebskranken Kindern in Schottland zugute. Ich halte es für sehr wichtig, die Wohltätigkeit hervorzuheben und darauf aufmerksam zu machen. Gestern hat mir ein Freund einen Facebook-Link zu einem CNN-Report über Indien geschickt. Darin ging es um einen bekannten Koch, ich glaube in Mumbai, der in der Stadt herumging und jemanden gesehen hat, der vor lauter Hunger seine eigenen Exkremente gegessen hat. Daraufhin hat er seinen Hoteljob aufgegeben und kocht jetzt auf der Straße für diese armen Menschen. Das ist jetzt sein Leben.
Welche Songs wirst Du spielen?
Das Genesis Klassik Programm dauert rund 2 Stunden. Wir werden alte Genesis Stücke spielen … aus der Zeit von Peter Gabriel, Phil Collins, Mike Rutherford … und natürlich die bekannten und erfolgreichen Hits. Es hat sechs oder acht Monate gedauert, das auf die Beine zu stellen. Neue Songs werden wir nicht spielen. Es ist auch nicht so einfach, Streicherparts für die neuen Songs zu schreiben. In den nächsten Jahren werden vielleicht noch Bläser hinzukommen und wir werden neue Ideen umsetzen.
Wird Dein neues Album, das in diesem Jahr erscheint, ein Soloalbum?
Nein … das Album habe ich zusammen mit meiner Band aufgenommen. Wir haben Songs geschrieben, die meisten Aufnahmen haben wir schon im Januar gemacht, in der Nähe von Mannheim. Es gibt viele Projekte. Demnächst werden wir mit »Genesis Klassik« zum ersten Mal auch in Moskau auftreten. Es passiert viel. Ich glaube, da ist auch unser ganzes Geld geblieben.
Sind die Menschen im Osten begeistert von Dir?
Ich glaube schon. Als wir 1998 mit Genesis in Budapest, Prag und Katowicz aufgetreten sind und danach nach Deutschland kamen hätte ich das bejaht. Damals sind noch nicht so viele Bands in osteuropäischen Ländern aufgetreten. Heute ist es dort genauso wie hier.
Was ist im Rückblick der größte Unterschied zwischen einer Tour mit Genesis und einer Solotour?
Geld. Bei Genesis wurde alles bezahlt und sich um alles gekümmert. Ich musste nur auf meine Stimme achten. Jetzt habe ich mein eigenes Geschäft, meine eigenen Firmen, mein eigenes Plattenlabel und ich werde überall mit einbezogen. Aber es macht Spaß, mit so vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten. Wir sind eine internationale Band – das ist eine völlig andere Erfahrung.
Was sind Deine Lieblingsstädte in Deutschland?
Flensburg und Gütersloh. Aber im Ernst: Ostberlin war mir immer am liebsten. Als ich das erste Mal dort war, hatte ich das Gefühl, dort schon gewohnt zu haben. Meine zweitliebste Stadt ist Hamburg. Hier gibt es einen guten »Spirit«, ich mag das sehr. Ostberlin ist ein wenig »fucked up« … auch das mag ich. Sehr künstlerisch. Als wir das letzte Stiltskin-Album gemacht haben, waren wir auch in Stuttgart … das fand ich ehrlich gesagt ziemlich langweilig. Mercedes Benz und Porsche passen gar nicht dazu. Jede Stadt hat ihren eigenen Charme.
Und welches Auto fährst Du selbst?
Ich fahre seit 18 Monaten gar kein Auto mehr. Ich hatte 3 oder 4 Sportwagen, aber jetzt habe ich einen Fahrer. Und in Deutschland benutze ich oft meine BahnCard. Ich will gar nicht mehr Auto fahren.
Kannst Du uns etwas zu Deiner Gitarre sagen?
Ja … sie war kaputt. Ich habe viele neue Gitarren, die ich sogar umsonst bekomme. Aber ich benutze sie nicht. Die Gitarre wird im Laufe der Zeit zu einem Teil des Körpers. Das Holz reagiert auf alles. Meine Gitarre hat ein Mann namens Fanta in Buenos Aires repariert. Wir haben ihn getroffen, nachdem die Gitarre während einer Südamerikatour defekt war. Ich habe die teuerste Gitarre in Buones Aires gekauft, eine Takamine. Aber sie gefiel mir nicht … und Fanta hat dann meine Gitarre bis zur ersten Show wieder hinbekommen. Derzeit klingt sie sehr gut. Sie ist jetzt 12 oder 13 Jahre alt. Ich glaube, sie wird mich den Rest meines Lebens begleiten. Es sei denn, sie wird mir gestohlen …