Für seine Bachelorarbeit konzipierte Paul Ring neben einer Plakatkampagne auch einen Instagramkanal und eine Webseite. Foto: P. Ring, HSBI
Von Christian Schröter, 5. August 2023, Lesedauer 3 Minuten, 40 Sekunden
HSBI, Kampagne in Bielefeld: Student entwickelt Aufruf zur Entschleunigung
Bielefeld, 4. Juni 2023
Paul Ring ruft zur Entschleunigung auf. Der Bielefelder #Student findet, dass hohe Geschwindigkeit in unserer Welt zum obersten Bewertungskriterium geworden ist. »Wir leben auf der absoluten Aktivitätsspitze der Gegenwart. Da sich alles um uns herum so schnell verändert, reduziert sich die Gegenwart auf ein Minimum. Was heute neu ist, ist morgen schon alt. Somit stürzen wir durch unsere Lebensmöglichkeiten und Entscheidungen und kommen dabei selten zur Ruhe. Aber müssen wir denn alles immer schneller tun? Ist #Zeit eine bloße #Ressource? Wir leben ein extrem volles Leben, aber ist es ein erfülltes Leben?«
Texte und Textfragmente, die zum Innehalten aufrufen
Die Reaktion des jungen Gestalters und »Philosophen« auf die allgemeine Schnelllebigkeit ist ein Kampagnenkonzept, das er, betreut von Prof. Dr. Anna Zika und Prof. Dirk Fütterer, am Fachbereich Gestaltung der Hochschule Bielefeld (HSBI) im Rahmen seiner Bachelorarbeit in der Studienrichtung Kommunikationsdesign erarbeitet hat. Die Plakate mit ihren Texten und Textfragmenten rufen zum Innehalten auf, stiften Verwirrung und stellen Rätsel – alles mit der Absicht die Betrachtenden zu motivieren, es mal mit Entschleunigung zu versuchen und sich eine Auszeit zu nehmen. Ring blieb jedoch nicht auf der konzeptionellen und gestalterischen Ebene stehen: Der Fachbereich ermöglichte ihm, die Plakate tatsächlich zu drucken, und das Kulturamt Bielefeld stellte die Flächen in der Stadt zur Verfügung. Und daher stoßen die Bürgerinnen und Bürger Bielefelds noch bis zum 11. Juli 2023 überall in der Stadt auf den »Aufruf zur Entschleunigung« – so der Name der Kampagne.
Mit seinem »Aufruf« möchte Paul Ring Menschen überzeugen, es mal mit Müßiggang und ohne dauernden Erledigungsdruck zu versuchen: »Mal nichts zu tun oder zumindest immer nur eine Sache zur gleichen Zeit zu erledigen – das kann sehr guttun.« #Multitasking findet Ring nicht erstrebenswert. Seine Überzeugung lautet: »Durch die Entschleunigung des Alltages kann man besser reflektieren, und wer reflektiert ist, trifft auch bessere Entscheidungen.« Ring will das Thema präsenter machen. Er begreift die Unfähigkeit vieler Menschen, mitzuhalten in schnelllebigen Strukturen, nicht als ein subjektives Problem einer einzelnen Person, sondern als gesellschaftlichen Mangel. »Mein Aufruf soll erreichen, dass die Person, die sich eine Auszeit nimmt, nicht gleich als faul betitelt wird, sondern im Gegenteil, dass man sie bewundert, da sie es schafft, sich dem Leistungsdruck und Beschleunigungsdruck zu entziehen.«
Botschaft bildet Kontrast zu schnelllebigen Medien und Räumen
Wir müssen lernen, auch mal stehen bleiben zu können, findet Paul Ring: »Es muss nicht immer alles so schnell passieren, wie es eben geht, es darf auch mal langsam sein.« Andernfalls würden uns vielleicht die schönsten Details und die wunderbarsten Momente entgehen. »Das Tolle am Medium #Plakat ist, dass es bereits in dem schnellen urbanen Raum steht, den ich ansprechen möchte. Der Moment, der beim Betrachten des Plakats erzeugt wird, ist also bereits an sich eine Bremse im Alltag.«
Ring spricht vom Plakat als »leisen Schrei«, um Aufmerksamkeit für Entschleunigung zu erzeugen. Gleichzeitig nutzt er jedoch auch schnelllebige Kanäle, um seine Botschaft an den Mann (und die Frau) zu bringen: Es gibt die Website www.keine-zeit.com, und den #Instagram Kanal »@entschleunigung_jetzt«, wo Ring die Betrachter, die im immerwährenden Strudel der Posts und Reels zu versinken drohen, zur #Reflexion aufruft. Diskutieren kann man mit dem Studenten darüber auch auf der Werkschau am Fachbereich Gestaltung der #HSBI. Sie findet vom 7. bis zum 9. Juli 2023 in der #Lampingstraße in 33615 #Bielefeld statt.
[Was gesagt wird, dreht sich wohl weniger um das Thema Zeit oder den »Moment«, sondern vielmehr um die Ephemere. Ein wichtiger Verweis ist die Erfindung der Uhr. Sie hat (nach Postman) »Gott« die Macht über die Zeit, über die Ewigkeit, genommen. Dem Menschen somit an dieser Stelle eine Möglichkeit zur Transzendenz genommen. Derweil ist die Zeit gequantelt, was dadurch bewiesen wird, dass es Uhren gibt – denn wäre die Zeit nicht abzählbar, sondern überabzählbar, könnte es keine Uhren geben. Die Zeit ist also gequantelt. Freilich gibt es keine Bezugsgröße, aber das Zeitquantum ist der Moment, der Augenblick. Anm. d. Red.]