Von Christian Schröter, 25. Oktober 2023, Lesedauer 10 Minuten, 10 Sekunden
#Murnaugesellschaft #Bielefeld, 33. Film und Musikfest, Sternstunden der Angstlust, Oktober und November 2023
Bielefeld, 25. September 2023
Schreckensstarr und schaudernd vor Angst ziehen wir uns in den gepolsterten Kinosessel zurück. Durch die vor dem Gesicht gefalteten Hände blinzeln wir auf die Leinwand und bekämpfen das Grauen mit Cola, Chips und Popcorn Sternstunden der Angstlust!
Im 33. Jahr des #Film und #Musikfest verwandeln sich die Rudolf Oetker Halle und das #Kino #Lichtwerk zu Orten der Verunsicherung und des Horrors. Doch der Abspann mit dem erlösenden Filmtitel »The End« verspricht Entspannung und die #Katharsis …
Von dem wohl international berühmtesten Film des deutschen Expressionismus, »Das Cabinet des Dr. Caligari«, hin zu Harold Lloyds Komödien (darunter übrigens ein beinahe unbekannter, aber nervenzerfetzender Wolkenkratzer Kurzfilm) zeigt die Friedrich Wilhelm Murnau Gesellschaft Ihnen Ikonen des Kinos wie auch fast vergessene Kostbarkeiten. So kommen neben der Spannung auch die Komik und das Lachen zu ihrem Recht.
Öffnen Sie die Augen – nur keine Angst!
»Das Cabinet des Dr. Caligari«, Donnerstag, 19. Oktober 2023, 20 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Double Feature Harald Lloyd«, Sonntag, 22. Oktober 2023, 17 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Von morgens bis mitternachts«, Donnerstag, 26. Oktober 2023, 20 Uhr, Lichtwerk
»Faust – eine deutsche Volkssage«, Sonntag, 29. Oktober 2023, 17 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Alles für Geld«, Donnerstag, 2. November 2023, 20 Uhr, Lichtwerk
»Spione«, Freitag, 3. November 2023, 20 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Kino für Kurze«, Sonntag, 5. November 2023, 15 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Das Cabinet des Dr. Caligari«
»Das Cabinet des Dr. Caligari« (1920) von Robert Wiene gilt mit seiner außergewöhnlichen Kulisse des Filmarchitekten Hermann Warm als Meilenstein des expressionistischen Films. Darin erzählt der Protagonist Franzis die Geschichte des unheimlichen Schaustellers Dr. Caligari, der mit Hilfe des Schlafwandlers Cesare Angst und Schrecken in der norddeutschen Kleinstadt Holstenwall verbreitet. Tagsüber präsentiert Dr. Caligari Cesare als Attraktion auf dem Jahrmarkt, doch des Nachts begeht der Schlafwandler Morde im Auftrag seines Herrn. Schließlich entlarvt Franzis Dr. Caligari als Direktor einer Nervenheilanstalt. Doch das Ende ist doppelbödig Denn Franzis ist in der Realität selbst Insasse der Anstalt und hat die Geschichte fantasiert.
Mit seiner einzigartigen Kulisse und einer Handlung voller Fallstricke und Doppelbödigkeiten, die die allgemeine Verunsicherung des Menschen nach dem Ersten Weltkrieg in ikonische Filmbilder fasst, wird dieser Film zum Inbegriff der ästhetischen Gattung des »Caligarismus«. Rudolf Kurtz schreibt dazu 1926 »Wie ein Fiebertraum wirkte dieser Film, der in wilder Zeit seine Uraufführung erlebte mit dunklen Straßen, hinüberschallend befehlende Kommandos republikanischer Truppen, irgendwo grelle Schreie von Straßenrednern – und im Hintergrund ein zentrales Stadtviertel in tiefe Finsternis getaucht, von radikalen Aufrührern besetzt, mit Gewehrgeknatter, Soldatenketten, Dachschützen und Handgranaten …«.
Von den mehr als 90 Filmen, an denen Robert Wiene mitwirkte, existieren heute nur noch rund 20, darunter 3 weitere Produktionen in expressionistischem Dekor »Genuine« (1920), »Raskolnikow« (1923) und »Orlac’s Hände« (1924). Ursprünglich war Fritz Lang für die Regie vorgesehen. Da er aber grad einen großen kommerziellen Erfolg mit »Die Spinnen« hatte, musste er den zweiten Teil der ursprünglich auf vier Teile konzipierten Serie realisieren – und Robert Wiene sprang ein. Bis heute ist dessen künstlerischer Anteil gegenüber dem Dream Team der Drehbuchautoren und der Filmarchitekten umstritten. Das Metropolis Orchester Berlin spielt die seit Jahrzehnten nicht mehr aufgeführte Originalmusik von Giuseppe Becce aus dem Jahr 1920, editiert von Burkhard Götze.
Donnerstag 19. Oktober 2023, 20 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Double Feature Harald Lloyd«
Harold Lloyds Alleinstellungsmerkmal war das Klettern auf Wolkenkratzern, das er zwischen 1919 und 1947 in insgesamt sechs Filmen praktizierte und für die der Begriff der »Thrill comedy« gefunden wurde. Bis heute ist seine Komödie »Safety Last« (gezeigt 2004 und 2018 beim FMF) legendär Kaum jemand hat den Wolkenkratzer kongenialer als das prototypische amerikanische Erfolgssymbol in Szene gesetzt als Harold Lloyd. Doch nur wenige wissen, dass Lloyd bereits zwei Jahre zuvor den halbstündigen Wolkenkratzer Film »Never weaken« gedreht hatte, dessen atemberaubende Artistik der seiner berühmtesten Kletterpartie in nichts nachsteht. In Why worry? sucht Harold Lloyd, wieder in seinem Signature Dress – kreisrunde Hornbrille, Strohhut, Business Anzug – als vermögender, jedoch kränkelnder Geschäftsmann Erholung auf der südamerikanischen Insel Paradiso. Selbstverständlich gerät der kerngesunde, aber schwerstleidende Hypochonder in furchtbare Verwicklungen. Doch die aus Gesundheitsgründen durchgesetzte Beendigung einer Revolution auf dem vorgeblichen Insel Paradies wie auch die Zahnoperation eines furchteinflößenden Riesen lassen die Selbstheilkräfte seines Körpers erwachen. Dass er zum Schluss das schönste Mädchen bekommt, ist hochverdient. Axel Goldbeck, Stammgast des Film und Musikfests, dirigiert sein Cinematografisches Orchester mit Tempo und Swing.
Sonntag 22. Oktober 2023, 17 Uhr, Rudolf Oetker Halle,
»Von morgens bis mitternachts«
Der Film Von morgens bis mitternachts (1920) von Karlheinz Martin geht zurück auf das gleichnamige, für das expressionistische Theater wegweisende Stück von Georg Kaiser aus dem Jahr 1912. Das Stationendrama handelt von einem einfachen Bankangestellten, der aus seinem gutbürgerlichen, aber auch gleichförmigen und langweiligen Leben ausbricht. Am Bankschalter sieht er sich den reichen Kunden gegenüber, um deren Leben er sie beneidet. Im Kreise seiner Familie ist kein Gefühl von Zuhause zu spüren, nur der Schrecken der Alltäglichkeit. Auch auf der Rennbahn und in den Bars und Bordellen starren ihn nur Fratzen an. Nachdem er bei der Bank Geld gestohlen hat, begibt er sich auf einen Streifzug durch das Vergnügungsviertel einer Großstadt, indem er das Geld verprasst. Geläutert und am Ende wahnsinnig vor Selbsterkenntnis, nimmt er sich das Leben. Über das Finale der Verfilmung schreibt Rudolf Kurtz »Licht spiegelt in Stahl ein Druck, ein Blitz, der Browning hat die Rechnung abgeschlossen. Was ist das Leben! Ein Jagen, von Morgens bis Mitternacht, nach der Seele, der wirklichen, unsterblichen Seele. Eine Spanne voll Traum, zwischen Gier und Ende.« Der Filmkritiker, Filmkurator und Stummfilmpianist Daniel Kothenschulte, Stammgast des Film und Musikfest, begleitet diesen Klassiker des »Caligarismus« am Klavier.
Donnerstag 26. Oktober 2023, 20 Uhr, Lichtwerk
»Faust – eine deutsche Volkssage«
Als Faust – eine deutsche Volkssage am 14. Oktober 1926 uraufgeführt wird, steht Friedrich Wilhelm Murnau auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Mit »Nosferatu« und »Der letzte Mann« hatte er 2 der bedeutendsten Filme der Stummfilmära geschaffen und dadurch einen Ruf nach Hollywood erhalten. Murnau drehte Faust als letzten seiner deutschen Filme – mit einem Vertrag mit William Fox in der Tasche. Auch für seinen Hauptdarsteller Emil Jannings wird es die vorerst letzte deutsche Filmproduktion sein, dreht er danach doch in den USA mit Starregisseuren wie Victor Fleming und Josef von Sternberg und erhält als erster Schauspieler 1929 einen Oscar. Murnaus Faust – eine deutsche Volkssage verwebt Motive aus dem Volksbuch »Historia von Doktor Johann Fausten – dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler« (1587) mit Elementen aus den Dramatisierungen des Stoffes durch Christopher Marlowe und Johann Wolfgang Goethe. Während die zeitgenössische Kritik sehr zurückhaltend auf das romantisch expressionistische Drama reagierte, ist die Bedeutung der Inszenierungskunst Murnaus in dieser »visuellen Oper« (Murnau Filmpreisträger Eric Rohmer) heute unstrittig. »Murnaus Faust Version […] läßt den metaphysischen Kampf zwischen Gut und Böse an der Zeitenwende vom Mittelalter und Irreligiosität erscheinen und deutet Faust als den ersten modernen Menschen mit freier Willensentscheidung und einem Bekenntnis zur Allmacht der Liebe. In seiner letzten Arbeit für die UFA, bevor er nach Hollywood ging, gestaltete Murnau (1888 1931) den klassischen Stoff als Licht und Schattenspiel, das die Perfektion des deutschen Stummfilmkinos noch einmal suggestiv auskostete Ein Film voll spielerischer Freude am Phantastischen«, Lexikon des internationalen Films. Bernd Wilden komponierte die von der Murnaugesellschaft in Auftrag gegebene Filmmusik, die nach ihrer Uraufführung 2004 (?) und 2013 beim Film und Musikfest mit den Bielefelder Philharmonikern eingespielt wurde. Ein Bielefelder Klassiker – vom Komponisten selbst dirigiert.
Sonntag 29. Oktober 2023, 17 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Alles für Geld«
In dem einzigen #Film, den seine eigene Produktionsfirma herausbringt, spielt Emil Jannings inmitten der Inflationszeit den unersättlichen Industriemagnaten Rupp, dessen Machtgier schließlich auch sein Sohn und seine Ehe zum Opfer fallen. »Geht hin und schauet dies ist der Film unserer Zeit«, schreibt der Film Kurier nach der Premiere von Alles für Geld am 6. November 1923. Der ehemalige Metzger Rupp ist durch den Ersten Weltkrieg als Industrieller zu Reichtum gelangt. Der Aristokrat Henry hingegen ist völlig verarmt und muss sich als Elektriker in einem Varieté über Wasser halten. Als Rupp in dem Varieté zu Gast ist und einer Tänzerin gegenüber zudringlich wird, gerät Henry mit ihm aneinander und verliert daraufhin seinen Job. Um ihm zu helfen, verkauft seine Verlobte Asta ihren Familienschmuck – ausgerechnet an Rupp. Systemgewinnler und Emporkömmling versus verarmter Adel Der Streit zwischen den beiden Männern eskaliert bis zum Duell. Die große Kunst von Jannings besteht darin, diesem rücksichtslosen Despoten menschliche Züge zu verleihen. Er ist, so schreibt Kurt Pinthus 1923, »brutal, listig, protzig, kindlich, wollüstig, sohnesliebend, tragisch, rasend, verliebt, zusammenbrechend, kleinbürgerlich, größenwahnsinnig, aber mit einem Schuß Gutartigkeit; kurz der Über Raffke.« Immer wieder blitzt dabei das Genie des Regisseurs Reinhold Schünzel auf. Er unterlegt den Film mit erotischem Witz, Tempo und Biss. Eunice Martins, seit 23 Jahren Hauspianistin des Kino Arsenal – Institut für Film und Videokunst, Berlin, ist regelmäßiger Gast beim Film und Musikfest.
Donnerstag, 2. November 2023, 20 Uhr, Lichtwerk
»Spione«
Ein Spionagethriller in hermetischen Art Deco Kulisssen Nachdem Fritz Langs Monumentalepos »Metropolis« Erich Pommers Produktionsgesellschaft in die finanzielle Agonie getrieben hatte, produzierte Lang selbst mit wesentlich bescheidenerem Budget diesen streng oberflächlichen Reißer. Mit seiner Ikonographie, so dem namenlosen Agenten »No. 326«, der internationalen Geheimorganisation unter dem Tarnnetz einer scheinbar hochseriösen Bank, dem Superschurken im Rollstuhl (noch ohne Katze), der Infiltration durch russische Geheimagenten, der Verführung als Waffe und zahlreichen technischen Gimmicks zeichnet Spione die James Bond Verfilmungen verblüffend exakt vor. Lang zeigt sich in hier als noch strengerer Stilist als bei »Metropolis«, der nach Einschätzung seines berühmten sowjetischen Regiekollegen Wsewolod Pudowkin, die Möglichkeiten der Kamera »wie Einstellungen, Bildausschnitte, Verbindungen von Bildern, Steigerung durch wirkungsvoll geschaute Details« geradezu traumwandlerisch sicher nutzt.
Freitag, 3. November 2023, 20 Uhr, Rudolf Oetker Halle
»Kino für Kurze«
Kino für Kurze mit Buster Keaton, »Our Gang« (»Die Kleinen Strolche«), Stan Laurel und Oliver Hardy, Charles Chaplin. Die Giganten des Slapstick vereint dieses Kurzfilmprogramm für Kinder, Eltern, Großeltern und solche, die es bleiben oder werden möchten. Im Haunted House (Das verwunschene Haus, USA 1921, 23 Minuten) kämpft Buster Keaton nicht nur mit gefälschten Banknoten und verklebten Bankkunden, einer Fälscherbande und einer Theatergruppe, sondern auch mit einer Treppe, die zur Rutsche wird. Mit stoischer Miene erträgt Keaton alles Unbill der Welt, wohl wissend, dass alles immer schlimmer wird. Eine #Hochzeit und ein Flohzirkus Aus dieser Konstellation schlagen Regisseur Robert MacGowan und Produzent Hal Roach gemeinsam mit den Kleinen Strolchen Funken Thundering Fleas (USA 1926, 20 Minuten). Ein Hund als Floh Hotel, der entlaufene Floh Star Garfield (eine wunderbare Zeichentrick Animation), die hinreißenden Kinderdarsteller der Kleinen Strolche (Our Gang), darunter Scooter, Farina und Mary, Cameo Auftritte von Oliver Hardy und Charley Chase … der Anarchie sind Tür und Tor geöffnet bis hin zur kompletten Zerrüttung und Zerstörung der Erwachsenenwelt mit ihren Vorstellungen von gutem Benehmen, #Sauberkeit, #Moral und Ordnung.
Stan Laurel & Oliver Hardy kämpfen in »The Battle of the Century« (»Der Kampf des Jahrhunderts«, USA 1927, 20 Minuten) den Kampf des Jahrhunderts nicht nur im Boxring, sondern auch auf der Straße in der wohl längsten Tortenschlacht der Filmgeschichte, verzeichnet im Guinness Buch der Rekorde mit über 3.000 Sahnetorten, der gesamten Tagesproduktion einer Großbäckerei aus Los Angeles …
Nach Stan & Ollie steigt zum guten Schluss Charles Chaplin in den Ring und zeigt sich als Meister einer traumwandlerisch sicheren, leichtfüßigen Rollschuhartistik in dem frühen Mutual Slapstick »The Rink« (»Die Rollschuhbahn«, 1916, 24 Minuten). Das Wanderkino, 2022 zum ersten Mal zu Gast beim Film und Musikfest, ist ein mobiles Kino, das Stummfilme unterschiedlicher Genres präsentiert Slapstick, Monumental und Experimentalfilme.
Sonntag, 5. November 2023, 15 Uhr, Rudolf Oetker Halle
Ticketverkauf
Rudolf Oetker Halle, Lampingstraße 16, Eintritt, Großer Saal 25 Euro, ermäßigt 20 Euro, Ermäßigung für Kinder bis 14 Jahre 12 Euro, Lichtwerk, Ravensberger Park 7, Eintrit 20 Euro, ermäßigt 15 Euro, Karten für die Filme »Von morgens bis mitternachts« sowie »Alles für Geld« nur hier erhältlich, FMF Abo 90 Euro (gilt für alle Vorführungen in der Oetkerhalle), Kartenvorverkauf ab September 2023, Tourist Information im Neuen Rathaus, Telefon +49521516999, »Neue Westfälische«, in allen Geschäftssstellen, Telefon +49521555444, Theater und Konzertkasse, Telefon +49521515454, Friedrich Wilhelm Murnau Gesellschaft, Obernstraße 24 a, 33602 Bielefeld, Telefon +4952167743, mehr …
Rudolf-Oetker-Halle
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