Georges Senga: »Tshanga Tshanga«, Mille Bêches, Opencats mines, DR Congo, Manono, 2021, Bild: Georges Senga. Foto: Kunsthalle Mainz
Von Christian Schröter, 7. November 2023, Lesedauer 9 Minuten, 39 Sekunden
Kunsthalle Mainz, »Unextractable«: Sammy Baloji invites, 27. Oktober 2023 bis 11. Februar 2024
Mit Sammy Baloji, Nilla Banguna, Jackson Bukasa und Dan Kayeye und Justice Kasongo, Sybil Coovi Handemagnon, Fundi Mwamba Gustave und Antje Van Wichelen, Franck Moka, Hadassa Ngamba, Isaac Sahani Dato, Georges Senga, Julia Tröscher
Basierend auf einem Konzept von Lotte Arndt und Sammy Baloji, ko kuratiert von Lotte Arndt, Yasmin Afschar und Marlène Harles, in Zusammenarbeit mit Picha, Lubumbashi, Framer Framed, Amsterdam und Reconnecting »Objects« (Technische Universität Berlin)
Mainz, 6. Oktober 2023
In seiner künstlerischen Arbeit untersucht Sammy Baloji die Geschichte des Bergbaus in seiner Heimatstadt #Lubumbashi im #Südosten der Demokratischen Republik Kongo. Dabei setzt er den tiefgreifenden Zerstörungen der #Umwelt und der sozialen Strukturen die Erinnerungen und Hoffnungen der Menschen in der Region Katanga entgegen. Die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden, Aktivisten und Akademikern sowie die Zusammenführung vieler Formen von Wissen und Produktion sind wesentliche Bestandteile seiner künstlerischen Praxis. Seine Einladung an 12 #Künstler, mit denen er in der Demokratischen Republik Kongo oder in Europa im Austausch steht, ist eine Fortsetzung dieser Entwicklung kollektiver Strukturen, die er als Strategie des Widerstands gegen den Extraktivismus, einer Wirtschaftsform, die Menschen und Umwelt ohne Rücksicht auf die Konsequenzen als bloße Ressourcen behandelt, versteht.
Gemeinsam entwickeln die vertretenen Künstler immer neue Formen und Kooperationen, um sich den Auswirkungen des Extraktivismus zu widersetzen. Sie stellen unterbrochene Wissensketten wieder her, beleuchten die Konsequenzen des globalen Konsumverhaltens und der wirtschaftlichen Profitmaximierung, und rücken die Menschen in den Fokus. Die Vielstimmigkeit der Ausstellung führt die langjährige Arbeit der Künstler und Kulturschaffenden im Umfeld von Sammy Baloji zur Entwicklung kollektiver Strukturen in Lubumbashi fort. In ihrem Zentrum steht Picha, eine unabhängige Plattform die von kongolesischen Künstlern getragen wird, und die unter anderem die Lubumbashi Biennale ausrichtet. Die in der #Kunsthalle gezeigten Arbeiten wurden von den Künstlern im Rahmen dieser Strukturen, Picha und der #Lubumbashi #Biennale oder in Zusammenarbeit mit Framer Framed Amsterdam sowie dem Forschungsprojekt Reconnecting »Objects« entwickelt und werden erstmals in #Deutschland gezeigt.
Sammy Baloji
Geboren 1978 in Lubumbashi (DRC), lebt und arbeitet in Brüssel und Lubumbashi. Sammy Baloji forscht derzeit zu Erinnerung und Überlieferung in Luba Gemeinschaften in verschiedenen Provinzen des Kongo. Dabei interessiert er sich für zeitgenössische Interpretationen traditioneller Formen und Objekte. So etwa das lukasa, ein dekoriertes Holzobjekt, das als eine taktile Gedächtnisstütze bei der Erzählung von Geschichten zum Einsatz kommt. Mit einer monumentalen Skulptur im öffentlichen Raum in Antwerpen bezieht sich Sammy Baloji auf diese Tradition. In anderen Arbeiten wird ein kasala performt, ein zeremonielles Gedicht mit genealogischen Elementen. Sammy Baloji‘s Arbeiten umfassen verschiedene Medien: von #Fotografie und #Collage, über #Skulptur, Installation, und neue Medien bis zu gesprochenem Wort und Musik. Sein Werk verdichtet komplexe Fragen zu (post )kolonialer Geschichte. Er nutzt das Archiv, das Museum und Film als Prismen, um diese Konstrukte zu analysieren und in sie einzugreifen. Dabei verschränkt er sie mit zeitgenössischen Diskussionen über Restitutionund Repräsentation.
Nilla Banguna
Geboren 1990 in Lubumbashi (DRC), lebt und arbeitet in Lubumbashi. Nilla Banguna ist Schneiderin, Stylistin und Textildesignerin. Sie ist Initiatorin der Modemarke MusNilla, der MusNilla Tee Rezepte und des MusNilla Kataloges. 2016 nahm sie zum ersten Mal an der Lubumbashi Fashion Week teil und zeigte ihre Arbeit 2022 als Teil der 7. Lubumbashi Biennale. Im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit Picha arbeitet Banguna mit einer Gruppe von Frauen aus dem Dorf Makwacha (45 km von Lubumbashi). Die Frauen des Dorfs bemalen jedes Jahr die Außenwände ihrer Häuser mit Pigmenten, eine Praxis, die sie über Generationen weitergeben. Für die Ausstellung in Mainz hat Nilla Banguna in Zusammenarbeit mit Patrizia Banguna Kazadi, Josephine Kyungu Muloba, und Fernande Musha Sebelwa, Drucke auf Grundlage von Zeichnungen auf lange Stoffbahnen aufgebracht. Sie übertragen so die lokale Malerei von den Hüttenwänden auf Baumwollstoff, was den Motiven erlaubt zu reisen.
Jackson Bukasa, Dan Kayeye und Justice Kasongo
Jackson Bukasa, geboren 1985 in Kolwezi (DRC), lebt und arbeitet in Lubumbashi. Dan Kayeye, geboren 1991 in Kinshasa (DRC), lebt und arbeitet in Lubumbashi. Justice Kasongo, geboren 1976 in Lubumbashi (DRC). Jackson Bukasa und Dan Kayeye erarbeiten einen künstlerisch dokumentarischen Film zu Justice Kasongo‘s mobilen Installationen mit Marionetten. In den Installationen werden die Stadt und die Geschichte der Demokratischen Republik Kongo durch ein komplexes Zusammenspiel von Puppen, Bewegung und Musik erzählt.
Sybil Coovi Handemagnon
Geboren 1988 in #Paris, lebt und arbeitet in Villentrois. Die Künstlerin entwickelt in einem über einjährigen Rechercheverfahren in enger Zusammenarbeit mit Lotte Arndt (Co Kuratorin des Projekts) im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts Reconnecting »Objects« eine Installation zur #Toxizität kolonialer Sammlungen. Der Begriff des Toxischen wird hier doppelt verstanden: es geht einerseits um die chemischen Rückstände von Insektiziden, mit denen die Objekte behandelt werden und wodurch sich die Verwendung der Objekte verändert. Andererseits umfasst er eine symbolische Dimension europäischer Kulturkonservierung, das Vergiften durch Bewahrung. Die Installation bringt Fotografien, Texte, Filmausschnitte zusammen, die Coovi Handemagnon bei Besuchen in den Sammlungen mehrerer ethnologischer und naturhistorischer Museen in Frankreich, Schweiz, Deutschland und Senegal angefertigt, gesammelt und zusammengestellt hat.
Fundi Mwamba Gustave und Antje Van Wichelen
Fundi Mwamba Gustave, geboren 1988 lebt und arbeitet in Lubumbashi. Er begann seine künstlerische Laufbahn als Schauspieler und Model. 2010 drehte er seinen ersten Kurzfilm Mampocha und 2 Jahre später gründete er mit Glodie Mubikay die Osimbi Oziki Studios, ein Forschungs und Produktionslabor für audiovisuelle und darstellende Künste. Antje Van Wichelen lebt in Brüssel (B) und arbeitet seit Jahren mit experimentellen 16 Millimeter Filmtechniken, um koloniales, meist fotografisches Material zu erschließen und zu bearbeiten. In der Kunsthalle Mainz laden die Beiden in das Kabinett des Dr. Fundi, das fiktive Alter Ego des Filmemachers ein. Dr. Fundi ist die Hauptfigur des experimentellen Horrorfilms, an dem die Künstler derzeit arbeiten. In dem Film geht es um »Monstrifizierung«, ein fiktives Phänomen, das durch #Umweltverschmutzung ausgelöst zu körperlichen Deformationen und monster artigen Verhaltensweisen führt. In dieser phantastischen Geschichte zeigen die Künstler*innen die Unausweichlichkeit toxischer Lebensbedingungen auf, die sie beim Besuch hochgradig verschmutzter Zonen in der Stadt Lubumbashi erlebt haben.
Franck Moka
Geboren 1992 (DRC), lebt und arbeitet in Kisangani (DRC). Die von Franck Moka konzipierte und mit Picha entwickelte immersive Sound und Videoinstallation Shimoko begann mit einer mehrmonatigen bibliographischen Recherche über die Umweltverschmutzung in Lubumbashi. Es besteht aus Tonaufnahmen in Minen und Reaktionen von den Menschen vor Ort auf die Verschmutzung.
Hadassa Ngamba
Geboren 1993 in Kizu (DRC), lebt in Lubumbashi and arbeitet zwischen Katanga and Kongo Central (DRC) sowie Belgien. In der Ausstellung zeigt sie Cerveau 2 (Gehirn 2), eine mit Kaffee gefärbte Leinwand, auf der Mineralien – Malachit, Kassiterit aus Katanga, Teer, Kohle – aufgebracht sind. Bei der Arbeit handelt es sich um eine abstrakte mentale Karte: Sie hat keine Legende, keinen geografischen Bezug. Die 5 Farben – rot, gelb, grün, schwarz und blau – auf dieser rechteckigen Leinwand, verweisen auf die verschiedenen Erze und Ressourcen, die im Boden der DR Kongo vorhanden sind, darunter Kupfer und Kobalt. Ngamba verwebt ihre Erinnerungen und Empfindungen mit kollektiven Traumata und räumlichen Darstellungen auf der Grundlage von Materialien aus kongolesischen Böden. Dabei hinterfragt sie die Verflechtungen zwischen Extraktivismus, globaler kapitalistischer Wirtschaft und deren historische Kontinuitäten.
Isaac Sahani Dato
Geboren 1992 in Kinshasa (DRC), lebt und arbeitet in Kinshasa. Er schloss 2012 sein Studium der Bildhauerei am Institut des Beaux Arts de Kinshasa ab und setzte seine Ausbildung am Institut National des Arts (I. N. A.) in Kinshasa fort. Seiner Multi Media Installation Topos geht eine lange Recherche zu kolonialen Landkarten voraus, die er im National Museum in Lubumbashi gefunden hat. Die Karten sind zum größten Teil durch einen Brand zerstört worden und existieren nur noch als Schnipsel. Für Mainz hat er die Details der Karten – Flüsse, Straßen, Grenzen, einschließlich der verbrannten Ränder – in #Holz einlasern lassen. Dieser Arbeitsprozess erinnert an den zerstörten Zustand der Karten und an den gewaltsamen Prozess, durch den erst der Kolonialstaat, dann der Nationalstaat und internationale Unternehmen Land enteignen und neue Grenzen und Namen in die Landschaft einschreiben. Sahani Dato geht es um die Bezeichnungen von Orten, ihre Umbenennung und Aneignung durch Machthabende, sowie ihre oft vielschichtigen Bedeutungen.
Georges Senga
Geboren 1983 in Lubumbashi (DRC), lebt und arbeitet zwischen Lubumbashi und Maastricht (NL). Der kongolesische Fotograf konzentriert sich bei seinen Recherchen auf die Geschichte und die Geschichten, die sich aus Erinnerung, Identität und Tradition ergeben, und beleuchtet von dort aus Handlungen in der Gegenwart. In der Fotoserie Tshanga Tshanga resultiert dieses Interesse vorwiegend in Luftaufnahmen und Nahaufnahmen aus der Vogelperspektive, welche die landschaftlichen und sozialen Folgen des ökologischen Extraktivismus in der Demokratischen Republik Kongo thematisieren.
Julia Tröscher
Geboren 1997 in #Österreich, lebt und arbeitet in Antwerpen Die Künstlerin Julia Tröscher greift Sammy Balojis Auseinandersetzung mit dem kasala auf und entwirft anhand der Figur eines Fisch Menschen eine Genealogie des Universums, die sich mit ihrer eigenen überlappt. Der #Fisch #Mensch, der an die ersten Landtiere und den Übergang vom Wasser zu Land erinnert, steht gleichzeitig am Anfang und am Ende der Geschichte des Universums. Eine mit Symbolen verzierte Bank bildet die physische Verbindung zu einem vielstimmigen Gedicht, das anlehnend an das Kasala unsere Verortung in der Welt, zwischen der individuellen und kollektiven Existenz befragt.
Kuratorinnenrundgang
Sammy Baloji und Sybil Coovi Handemagnon mit Lotte Arndt (Co Kuratorin der Ausstellung), in Englisch, Freitag, 27. Oktober 2023, 18 Uhr, Kosten im Eintritt enthalten
Mainz – Postkolonial: Rundgänge für und durch die Mainzer Neustadt
Die Rundgänge Mainz – Postkolonial wollen den Menschen in Mainz einen neuen, anderen Zugang zu (ihrer) Stadt ermöglichen. Ziel ist es zu zeigen, dass Mainz in den Kolonialismus verwickelt war, seine Spuren sichtbar zu machen und für deren Fortwirken zu sensibilisieren. Der Begriff »postkolonial« verweist darauf, dass Kolonialismus nicht lediglich eine vergangene Epoche der Eroberung ist. Es handelt sich um ein System von Macht, Unterdrückung und Ausbeutung, dessen Strukturen Einfluss auf unser gegenwärtiges Leben ausüben. In der Mainzer Neustadt gibt es von Straßen und Ortsnamen wie dem Sömmeringplatz und dem Adenauer Ufer bis um Mainzer Zollhafen zahlreiche Beispiele, die wir gemeinsam kritisch erkunden wollen.
Rundgänge in deutscher Sprache am 28. Oktober, 2. November, 12. November, 9. Dezember 2023 und 14. Januar, 18. Februar 2024, jeweils um 15 Uhr, Rundgang mit Gebärdensprachendolmetscher am 25. November 2023, 14 Uhr, Rundgang in französischer und englischer Sprache am 26. Januar 2024, 15.30 Uhr, die Teilnahme am Rundgang ist kostenlos, Treffpunkt Kunsthalle #Mainz, maximale Teilnehmerzahl 25, um Anmeldung bis 3 Tage vor dem Rundgang per E Mail an mail@kunsthalle mainz.de wird gebeten.
Reflexionen
Feministischer Rundgang mit Sakhile Matlhare (SakhileundMe, Frankfurt) und Marlène Harles (Kuratorin Kunsthalle Mainz). In Englisch, Mittwoch, 13. Dezember 2023, 19 Uhr, Kosten im Eintritt enthalten
Kuratorinnenrundgang
Mit Yasmin Afschar und Dr. Boniface Mabanza Bambu, Mittwoch, 10. Januar 2024, 19 Uhr, Kosten im Eintritt enthalten
Bénédicte Savoy und Sammy Baloji
Vorträge und Diskussion mit der Kunsthistorikerin und Mit Verfasserin des Restitutionsberichts an die französische Regierung (2017) Bénédicte Savoy (TU Berlin) und Sammy Baloji, an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt, Donnerstag, 25. Januar 2024, 19 Uhr. Eintritt frei, Städelschule
Transmission Through Transformation
Am 26. und 27. Januar 2024 laden die Kunsthalle Mainz und ihre Kooperationspartner zu 2 Tagen mit öffentlichen Vorträgen, Künstlerrundgängen, Werkstattgesprächen, #Musik und Performances ein. Im Austausch mit den beteiligten Kunstschaffenden, Partner und Besucher diskutieren und erproben wir Überlieferung als lebendige Praxis und als Strategie zur Wiederherstellung unterbrochener Wissensketten. Freitag, 26. Januar 2024, 15.30 Uhr Mainz – Postkolonial: Rundgang für und durch die Mainzer Neustadt in französischer und englischer Sprache mit anschließender Möglichkeit zum Ausstellungsbesuch in der Kunsthalle Mainz, Samstag, 27. Januar 2024, 11 Uhr Öffentliches Programm für Klein und Groß in der Kunsthalle Mainz.
Kunsthalle Mainz
Am Zollhafen 3–5
55118 Mainz
Telefon +496131126936
E-Mail marquis@kunsthalle-mainz.de
www.kunsthalle-mainz.de