Von Christian Schröter, 15. Dezember 2023, Lesedauer 7 Minuten, 43 Sekunden
Landestheater Detmold, Schwanensee, eine moderne Adaption, Ballett von Katharina Torwesten Musik von Pjotr Tschaikowsky
Detmold, 15. November 2023
Nach den Märchen »Das kalte Herz« (2022) und der gefeierten Shakespeare Adaption »Romeo und Julia (im April 2023) setzt sich die Choreografin Katharina Torwesten in ihrer kommenden Ballettpremiere »Schwanensee« mit der Märchengeschichte vom Prinzen Siegfried auseinander, der sich an einem idyllischen Waldsee in die Schwanenprinzessin Odette verliebt und ihr die ewige Treue und Liebe schwört. Dabei wird er jedoch vom Zauberer Rotbart durch Odile, Odettes Gegenspielerin, dem schwarzen #Schwan getäuscht.
Nicht ohne Grund zählt »Schwanensee« mit seinen poetischen Szenen und den Bildern weißer Schwäne zu den wohl schönsten Ballettmärchen überhaupt. Die anspruchsvolle Doppelrolle der Schwanenprinzessin gehört zu den Paraderollen für jede Ballerina. Kaum vorstellbar, aber dieses heute international am meisten getanzte Ballett wurde bei seiner Uraufführung 1877 in Moskau für den damals 37 jährigen Tschaikowsky zum emotionalen Härtefall. Das Stück fiel beim Publikum durch, weil der Choreograf und die Ballerina Tschaikowskys symphonische Musiksprache nicht verstanden hatten. Sie war ihnen zu anspruchsvoll.
Heute – über 140 Jahre später – ist Peter Tschaikowskys Ballettmärchen »Schwanensee« das Ballett aller Ballette. Deshalb kann man sich aus heutiger Sicht kaum vorstellen, dass ausgerechnet dieses Werk einst zu Tschaikowskys größter Enttäuschung wurde.
Knapp 20 Jahre nach der Moskauer Uraufführung feierte das Ballett den bis heute anhaltenden Welterfolg. Nachdem der Starchoreograf Marius Petipa (1818 bis 1910) Tschaikowsky erst zur Arbeit an »Dornröschen« und schließlich auch zum »Nussknacker« animieren konnte, nahm er sich – gemeinsam mit seinem Assistenten Lew Iwanow (1834 bis 1901) – auch eine Wiederbelebung von »Schwanensee« vor.
Dabei baute er die von Tschaikowsky mit wenig Interesse berücksichtigte Figur der Odile als schwarzen Schwan aus. »Schwanensee« wurde in dieser #Choreografie zum international und bis heute am häufigsten getanzten klassischen Ballettstück.
Die erfolgreiche Neuinszenierung 1895 in Sankt Petersburg erlebte Tschaikowsky nicht mehr, er starb zwei Jahre zuvor im mittleren Alter von 53 Jahren. Er zählt zu den bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Zu seinen bekanntesten Werken gehören seine drei letzten Sinfonien, das Violinkonzert, sein erstes Klavierkonzert und seine Oper »Eugen Onegin«. Mit »Schwanensee« (1877), »Dornröschen« (1890) und »Der Nussknacker« (1892) verfasste er zudem die berühmtesten Ballette der Romantik.
Wie viele Künstler der Romantik fühlte sich auch Tschaikowsky von märchenhaften Stoffen angezogen. Neben seinen 3 großen Märchenballetten komponierte er eine #Undine #Oper, die er später aber wieder vernichtete. Warum ist nicht bekannt.
Eine mögliche Vorlage lieferte die fantastische Erzählung »Der geraubte Schleier« von Johann Karl August Musäus aus dem 3. Band der »Volksmärchen der Deutschen« (1784), in der das Motiv der Schwanenjungfrau vorkommt: Eine unglückliche und in ihrer Ehe von ihrem Mann unterdrückte Königin, besitzt die seltene Gabe, sich mittels eines Schleiers in einen Schwan zu verwandeln. Nur ein einziges Mal pro Jahr ist es ihr erlaubt, eine Schwanengestalt anzunehmen und in einem mystischen See zu baden. Hier ist sie frei, badet und trifft ihre wahre Liebe. Als der König davon erfährt, zerstört er ihr Schwanengewand. Jahre später kommt der gerade volljährig gewordene Prinz in die Nähe des magischen Waldsees. Dort erfährt er vom inzwischen gealterten Liebhaber seiner Mutter das Geheimnis des Sees, an dessen Ufern sich einst deren Liebesgeschichte zutrug. Auch die russische Volkserzählung »Die weiße Ente« wird als Vorlage für Tschaikowskys Ballett in Betracht gezogen:
Ein Fürst muss nach seiner Hochzeit Hof und Frau verlassen. Schon bald lockt eine Fremde die Fürstin an ein Seeufer. Erst ziert sich die Fürstin, doch dann legt sie die Kleider ab und springt ins Wasser. Kaum ist das geschehen, wird sie in eine weiße Ente verwandelt. Die Fremde zieht die Kleider der Fürstin an, schminkt sich und empfängt so den heimkehrenden Fürsten, der nichts von der Täuschung bemerkt.
Wahrscheinlich haben Tschaikowskys Librettisten die Handlung aus verschiedenen Märchen und Motiven verquickt, in deren Zentrum die Liebe des Prinzen zu einem Mädchen steht, das von einem bösen Zauberer in einen Schwan verwandelt wurde.
Außerdem führten die Librettisten des Ballettmärchens Odile als böse Rollenfigur ein. Mit ihr täuscht der Zauberer Rotbart den Prinzen Siegfried. In dem Glauben, Odette vor sich zu sehen, hält der Prinz um die Hand der bösen Gegenspielerin an. Erst als ihm der weiße Schwan erscheint, erkennt er seinen Irrtum.
In der weiteren Aufführungsgeschichte haben sich verschiedene Schlüsse herausgebildet, entweder besiegt der Prinz den Zauberer oder das Liebespaar stirbt ohne happy end.
Von kaum einem anderen Ballett gibt es so viele unterschiedliche Versionen und Bearbeitungen wie von »Schwanensee«. Auch Katharina Torwesten erzählt den Ballettklassiker in ihrer ganz eigenen Interpretation als ein intensives und hochemotionales #Tanzdrama. Dabei lenkt sie den Fokus auf die dem Märchenstoff innewohnende Symbolik. Dadurch gelingt es ihr, echte Menschen und Charaktere zu erzählen, die sie psychologisch ausleuchtet. Die Musik von Pjotr Tschaikowsky liefert dabei die passende Grundlage der ebenso dramatischen wie hochemotionalen Interpretation.
Die Geschichte der Odette und Odile erzählt Katharina Torwesten als die Geschichte von ein und derselben Person, die von dem Zauberer Rotbart instrumentalisiert und für seine Zwecke missbraucht wird. Die Choreografin erzählt, was diese erlebten Übergriffe mit einer jungen Frau auf dem Weg ins Erwachsenensein machen. Sie ist gezwungen, für Rotbart als Tier zu leben, indem sie sich ihm mit dem Bild des weißen Schwans nach außen zurecht und gefällig macht. Der schwarze Schwan symbolisiert ihre innere Psyche, die verletzte Seele, die sie in sich trägt sowie das Dilemma, aus dem sie nicht fliehen kann. Alle anderen Schwäne sind Leidensschwestern.
Gleichzeitig erzählt Katharina Torwesten von der Zerrissenheit und Ambivalenz des Prinzen Siegfried, der unter der Dominanz der Königin leidet und dadurch ebenso mit seiner Psyche zu kämpfen hat. Sowohl die furchtbare Geschichte der Odette, als auch der ambivalente Charakter des Prinzen liefern keine gute Voraussetzung für eine Lebensbeziehung mit Happy End.
Katharina Torwesten rückt die Figur der Odette/Odile in den Mittelpunkt und fußt ihre Interpretation von »Schwanensee« auf Darlegungen von Eugen Drewermann, der alte Märchen mit ihrer Symbolsprache tiefenpsychologisch gedeutet hat.
Die Verwandlung in einen Schwan erzählt Katharina Torwesten symbolisch und die Dualität von schwarz und weiß verlegt die Choreografin auf die Psyche der Odette/Odile. Nach außen lebt Odette die äußere Anmut und zurechtgemachte Schönheit eines weißen Schwans, nach innen ist sie tief schwarz verletzt und deformiert durch die fürchterliche Geschichte, die sie durch die eifersüchtige wie übergriffige Vaterfigur Rotbart durchleben muss.
Seit der Spielzeit 2020/21 ist Katharina Torwesten als Ballettdirektorin am Landestheater Detmold engagiert, wo sie sich mit dem zweiteiligen Ballettabend »We will Dance: Sacre!«, einer freien Interpretation nach Igors Strawinskys »Le sacre du printemps«, als Choreografin dem begeisterten Detmolder Tanzpublikum vorgestellt hat. Seitdem hat sie sich eine außergewöhnliche Ballettcompagnie aufgebaut.
Gerne widmet Katharina Torwesten sich verstärkt auch literarischen Vorlagen oder Märchenstoffen, deren Inhalte und Symbolsprache sie ins heutige transformiert. Tanz ist für Katharina Torwesten »kein rein ästhetisches Phänomen, sondern eine Bewegungssprache, die wie eine Lupe den seelischen Zustand eines Charakters vergrößert und sichtbar macht«.
Neben den großen Handlungsballetten, wie »Der Glöckner von Notre Dame«, »Das kalte Herz« oder »Romeo und Julia« liegen ihr mit Produktionen wie dem »Dschungelbuch« immer wieder auch Tanztheaterstücke für die ganze Familie besonders am Herzen.
Franz Dittrich studierte #Bildhauerei und #Bühnenraum an der #HFBK in #Hamburg. Er wurde während des Studiums in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen. Nach dem Studium ar beitete er als Assistent für Anna Viebrock, Johannes Schütz und Wilfried Minks. Seither arbeitete er als Bühnenbildner an der Staatsoper Stuttgart, dem Schauspiel Bonn, dem deutschen Schau spielhaus Hamburg oder dem Residenztheater in München. Arbeitspartnerschaften verbinden ihn unter anderem mit Karin Beier, Claudia Bauer, Konstanze Kappenstein, Arpad Schilling und Ulrich Rasche. Auch mit Jan Steinbach besteht eine lange Zusammenarbeit.
Für den zeitgenössischen Tanz hat Franz Dittrich Bühnenbilder an der Oper in Posen entworfen. Die Arbeit für das klassische Ballett ist für ihn jedoch eine ganz neue Erfahrung.
Michael Spassov wurde in Ottawa geboren und hat als Dirigent und Korrepetitor u.a. an der Santa Fe Opera, der Washington National Opera, der Canadian Opera Company und der Juilliard School gearbeitet. Er hat mit vielen der führenden Dirigenten der Gegenwart zusammengearbeitet, darun ter Phillippe Auguin, Plácido Domingo, Emmanuel Villaume, Speranza Scappucci, John Fiore und Keri Lynn Wilson. Er wirkte an der Einstudierung zahlreicher Werke des zeitgenössischen Musik theaters mit. Als Pianist trat er an der Mailänder Scala, im Kennedy Center und im Richard Brad shaw Amphitheater in Toronto in Erscheinung. Außerdem ist er als Komponist tätig. Seine Kompo sitionen wurden vom Juilliard Orchestra, der Eighth Blackbird und dem Kontinuum Ensemble von Toronto aufgeführt. Seit der Spielzeit 2022/23 ist er Zweiter Kapellmeister am #Landestheater #Detmold.
Premiere am 1. Dezember 2023, 19.30 Uhr, Großes Haus, weitere Vorstellungen am 3. Dezember 2023, 15. Dezember 2023, 19. Januar 2024, 28. Januar 2024, 31. Januar 2024, 8. Februar 2024, 10. Februar 2024, 17. Februar 2024, 1. April 2024