Foto: Ilija Basicevic
Von Christian Schröter, 3. Oktober 2024, Lesedauer 8 Minuten, 57 Sekunden
#Open #Art #Museum St. #Gallen: »Ilija – ein Tuch mit 2 Gesichtern«, 5. September 2024 bis 23. Februar 2025
St. Gallen, 2. September 2024
Der serbische Maler Ilija #Bašičević (1895 bis 1972) gilt als einer der bekanntesten autodidaktischen Künstler. Er wurde wie Maria Prymachenko (Ukraine) oder Niko Pirosmani (Georgien) der Naiven Kunst zugeordnet. Einmal mehr entlarvt sich diese als romantisierte Kategorie. Im Alter von 61 Jahren beginnt er zu malen und erlangt in den 1960er und 70er Jahren unter dem Pseudonym Ilija Bosilj schnell internationale Berühmtheit. Erstaunlich ist sein Ausstellungsdebüt in der Schweiz: Schon früh bezieht die Galerie Hilt in Basel 1962 Ilija Bašičević in die Gruppenausstellung Primitive Malerei ein, gefolgt von einer Einzelausstellung 1969. Jean Dubuffet nimmt 1963 sieben Gemälde in seine Sammlung der Art Brut auf. Unter dem Titel Ilija – Ein Tuch mit zwei Gesichtern zeigt das open art museum jetzt die erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz. Die Gastkuratoren Otto Bonnen und Michael Zimmermann von der #Kunsthalle #Zürich nähern sich dem Klassiker mit frischem Blick.
Ihr Ansatz ist, nicht den Maler als Phänomen zu erklären, sondern sich auf sein Werk zu konzentrieren. So ist die Ausstellung nicht als Retrospektive zu verstehen. Vielmehr möchten die Kuratoren die vielseitige Uneindeutigkeit seines Schaffens und seiner individuellen Philosophie beleuchten. Die Ausstellung ist eine Begegnung mit Ilija Bašičević rätselhaften Werk und seinen wundersamen Bildwelten. Sie zeigen biblische Geschichten und wiederholt Szenen aus der Apokalypse, Episoden aus Mythen und Geschichten, geflügelte Wesen und Kosmonauten sowie höchst eigenwillige Bilder von einem idyllischen Paralleluniversum namens Ilijada. Daneben stehen viele Tierbilder. Die Kuratoren verfolgen eine Re Vision des Malers aus der neugierigen Perspektive der zeitgenössischen Kunst und ermöglichen uns, Ilija Bašičević vielseitiges Schaffen neu zu entdecken und eigene Beobachtungen zu machen.
Curators’ Statement
Die enigmatischen Bildwelten des serbischen Malers Ilija (mit vollständigem Namen Ilija Bašičević, 1895 bis 1972) üben eine anziehende und zugleich herausfordernde Wirkung auf uns aus. In den flächigen Kompositionen sehen wir Versammlungen und Einzeldarstellungen von doppelgesichtigen Gestalten in beinahe monochromen Bildräumen ohne Perspektive. Sie sind mit Symbolen versehen, deren Bedeutung sich unserem Verständnis entzieht. Die Figuren bestehen aus rundlichen Körpern mit filigranen Gliedmassen und wenigen, stilisierten Attributen, die sie als Engel, Könige oder Kosmonauten kennzeichnen. Dabei nutzt er die Malerei in all ihrer facettenreichen Materialität.
Als Kuratoren waren wir zunächst mit seinem Werk und nicht mit dem Künstler konfrontiert. Wir sind Ilijas Schaffen anfänglich mit nur wenig Wissen zu seiner Biografie und seinem Kontext begegnet. Mit seiner Person begannen wir uns erst in der folgenden Auseinandersetzung vertiefter zu beschäftigen, nach der intensiven Betrachtung seiner Arbeiten und den Gesprächen mit Monika Jagfeld, Direktorin des Open Art Museums, und mit Ivana Bašičević Antic, Kunsthistorikerin und Enkelin des Malers. Gelegenheit, sich mit Ilijas Schaffen und Leben vertraut zu machen, bieten eine ganze Reihe hervorragend recherchierter Aufsätze in Monografien und Ausstellungskatalogen. Vor allem in Serbien wurde von Kunsthistorikern viel zu dem Verhältnis seiner Biografie zum künstlerischen Wirken gearbeitet und bereits in Form von durchdachten Ausstellungen vermittelt. Einige dieser Bücher liegen als Zusatzmaterial im Ausstellungsraum aus. Was könnten wir dieser sorgfältigen Vorarbeit noch hinzufügen?
Die kunstwissenschaftliche Aufarbeitung, die andere bereits zu Ilija geleistet haben, hat unsere Wahrnehmung und unser Verständnis von Ilijas Werk bedeutend erweitert. Sie hilft, seinen Kontext zu begreifen und seine persönliche Symbolik besser zu lesen. Doch sie macht auch die Grenzen des Verständlichen deutlich, denn die Kunst von Ilija ist nicht immer eindeutig und schon gar nicht darauf ausgelegt, eine klare Botschaft zu kommunizieren. Zwar sind wiederholte Themenbereiche auszumachen, diese sind aber nicht als getrennte Kategorien, sondern als miteinander verwobene Felder zu verstehen. Wiederkehrende Darstellungsformen, Allegorien und Motive, die in den vielen Texten über Ilijas Schaffen analysiert werden, finden sich auch ohne Vorwissen in der Betrachtung der Werke und in ihrem Verhältnis zueinander.
Wir möchten uns seiner Denkweise durch eine konzentrierte Bildbetrachtung nähern und dazu einladen, eigene Beobachtungen zu machen. Dabei soll sich auch die Möglichkeit bieten, das Gesehene mit seinen Bildtiteln, den eigenen Aussagen des Künstlers und von anderen in der vorliegenden Literatur abzugleichen. Unsere Kuration hat nicht den Anspruch, den Künstler Ilija zu erklären oder seine Symbolik zu entschlüsseln. Aus diesem Grund haben wir bewusst auf eine Aufteilung in Schaffensperioden, in thematische oder nach Techniken und Material geordnete Abschnitte verzichtet. Demnach ist diese Ausstellung weder als kunstwissenschaftliche Deutung noch als umfassende Retrospektive zu verstehen, sondern kann als Übersetzungsversuch der Neugier und der Faszination verstanden werden, die Ilijas Werk in uns ausgelöst hat. Anders ausgedrückt: Wir möchten mit dieser Ausstellung Sie, die Besucher, einladen, Ilija mit einem frischen, offenen Blick zu begegnen und ohne Anleitung in seinen Kosmos einzutauchen.
Aus zeitgenössischer Perspektive halten wir seine künstlerische Selbstsicherheit und die stilistische und inhaltliche Konsistenz in der Breite seines schöpferischen Spektrums für besonders bemerkenswert. Denn seine Bilder scheinen nicht um ein Publikum besorgt, sondern verschreiben sich einer hoch individuellen Systematik, die eine komplexe Bildwelt und Philosophie verrät. So ist der Titel der Ausstellung einem Zitat von Ilija entnommen, das einerseits seine Weltanschauung widerspiegelt, sich aber ebenso gut als Beschreibung eines zentralen Aspektes seines formalen Bildprogramms, also der konzeptionellen und thematischen Gestaltung seiner Bilder, anwenden lässt. Denn nach ihm ist die Erfahrung von Wirklichkeit oft zwei oder mehrdeutig. Sein Zugang zur Realität lässt sich, so verstanden, auch auf das Kunstschaffen an sich übertragen: Seine Bilder schweben stets in rätselhafter Ambivalenz und seine Protagonisten haben konsequenterweise nie bloss ein Gesicht oder eine Schauseite. Mit grossem Selbstbewusstsein, souveräner Resistenz gegenüber Erwartungen und ohne Sorge um Bewertung schafft Ilija ein konsistentes Gefüge von Werken, die uns stets überraschen.
Otto Bonnen und Michael Zimmermann
Ilija (Bosilj) Bašičević (1895 bis 1972)
Geboren wurde Ilija Bašičević 1895 in Šid, einer kleinen ländlichen Ortschaft direkt an der heutigen serbisch kroatischen Grenze. Ilija, der schon früh den Bauernhof der Eltern übernommen hatte und zusammen mit seinen beiden Söhnen während des Zweiten Weltkriegs zeitweise in Wien Schutz vor der Verfolgung durch die faschistischen Besatzungsmächte suchte, erlebte in seiner Heimatstadt Šid zuerst den Wechsel von einem zum anderen Königreich und schliesslich die Schaffung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Nachdem er sich geweigert hatte, seinen Hof in die neu geschaffenen landwirtschaftlichen Kooperativen zu integrieren, stellte er seine Arbeit als Bauer ein und begann im Alter von 61 Jahren zu malen. Über die tiefere Motivation hinter seiner Zuwendung zur Kunst gegen Ende seines Lebens kann nur spekuliert werden. In seiner Familie stand Ilija mit dieser Affinität jedoch nicht alleine da. Einer seiner zwei Söhne, Dimitrije, der in Wien und Zagreb Kunstgeschichte studiert hatte und unter dem Pseudonym »Mangelos« auch als Künstler arbeitete, war bereits Anfang der 1950er Jahre in die Gründung einer Kunstgalerie in Zagreb involviert, aus der später die Gallery of Primitive Art und schliesslich das Museum für Naive Kunst hervorgehen sollte.
Dass Ilijas #Kunst ins Licht der Öffentlichkeit gelangte, verdankt sich auch Dimitrije/Mangelos’ prominenter Stellung in der jugoslawischen Kunstszene. So organisierte dieser 1963, nachdem er Ilijas neuer Passion anfänglich kritisch gegenüber gestanden hatte, eine erste Einzelausstellung mit Ilijas Werken an der Universität Belgrad. Weitere Ausstellungen und die Teilnahme an internationalen Gruppenausstellungen bereits ab 1962 machten Ilija bald zu einem bekannten Künstler. Mangelos’ Rolle als Förderer seines Vaters weckte in Teilen des jugoslawischen Kunstestablishments aber auch Zweifel über die Authentizität der Malereien: Wie konnte ein einfacher Bauer, der nie künstlerische Bildung genossen hatte, zu derartigen idiosynkratischen Darstellungsformen finden? Welchen Einfluss übte der Sohn dabei auf seinen Vater aus? Der Vorwurf wurde sogar laut, Ilija hätte seine Bilder gar nicht selbst gemalt, sondern Mangelos. Schliesslich musste Ilija 1965 in Zagreb vor einem versammelten Expertenkommitee den Authentizitätsbeweis erbringen, indem er vor ihren Augen malte. Über das Verhältnis von Ilija und Mangelos existieren aufschlussreiche Texte, von denen einige in den in der Ausstellung aufliegenden Publikationen konsultiert werden können.
In den folgenden Jahren wuchsen Ilijas Œuvre und seine Bekanntheit kontinuierlich an. 1971, ein Jahr vor seinem Tod, ehrte ihn seine Heimatstadt Šid mit einem eigenen #Museum für #Naive #Kunst, «Ilijanum«, das einen grossen Teil der insgesamt mehr als 2.000 von ihm gemalten Werke bewahrt.
Ilija und die Schweiz
Ilijas Werk fand erstaunlich früh den Weg zum Publikum in der Schweiz. Bereits 1962 erkannte die Galerie Hilt in Basel die Einzigartigkeit seines Werks und nahm ihn in die Gruppenausstellung Primitive Malerei auf, gefolgt von einer Einzelausstellung 1969. Auch Jean Dubuffet war früh für Ilijas Werke begeistert und integrierte 1963 sieben Gemälde in seine Sammlung, die heute zur Collection de l’Art Brut in Lausanne gehören. Die Münchner Galeristin und Sammlerin Charlotte Zander widmete ihm 1988 eine Einzelschau an der Art Basel, in der sie seine Werke aus der ‘goldenen Periode’ präsentierte. Abgesehen von diesen Präsentationen waren Ilijas Werke in der Schweiz nur in Gruppenausstellungen vertreten, darunter 1969 im Museo Civico di Belle Arti in Lugano, 1975 im Kunsthaus Zürich, 1988 im Kunstmuseum Thurgau und 2004 in der Manoir de la Ville de Martigny. Angesichts dieser frühen Präsenz in der Schweiz ist es bemerkenswert, dass bislang kein Schweizer Museum Ilija eine Einzelausstellung gewidmet hat. Diese Lücke schliesst nun das open art museum, das 2024 bis 2025 die erste umfassende Museumsausstellung dieses bedeutenden Künstlers in der Schweiz präsentiert.
Die Kuratoren
Otto Bonnen (gbeoren 1993 in Berlin) ist seit 2021 Kurator an der Kunsthalle Zürich. Er studierte Kunstgeschichte und Bildtheorie in Berlin und Basel und graduierte mit einer Arbeit zur Geschichte und Kritik des Begriffs der Outsider Art. Zuletzt realisierte er an der Kunsthalle Zürich die ersten Einzelausstellungen von Maggie Lee (2024) und Elene Chantladze (2023 bis 2024). Er organisiert das Programm Backrooms an der Kunsthalle Zürich, das sich konzentrierten Ausstellungsformaten widmet, und schreibt für das Online Magazin Brand New Life.
Michael Zimmermann (geboren 1988 in Basel) ist Registrar in der Kunsthalle Zürich und Assistent im Ausstellungs und Archivbereich in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Er hat Kunstgeschichte in Zürich studiert. Neben der Organisation von eigenen Ausstellungsprojekten, zuletzt hat er eine Ausstellung über japanische Fotobücher konzipiert und umgesetzt, nimmt er als Künstler auch selbst an Ausstellungen teil.
5. September 2024 bis 23. Februar 2025, Vernissage Mittwoch, 4. September 2024, 18.30 Uhr, Open Art Museum, St. Gallen, Vernissage mit der Enkelin Dr. Ivana Bašičević Antić und den Gastkuratoren Otto Bonnen und Michael Zimmermann von der Kunsthalle Zürich, mehr …